Geht Jürg Schoch durch seine Schule, bleibt er oft stehen. Er grüsst den Lehrerkollegen, erkundigt sich bei einer Schülerin, wie die Zwischenprüfung gelaufen sei. Überschaubarkeit ist ein Verkaufsargument des Gymnasiums Unterstrass. Der Direktor lebt sie vor, persönliche Kontakte sind ihm wichtig.
Für ein bisschen mehr Gerechtigkeit
Jürg Schoch setzte sich als Direktor des Gymnasiums Unterstrass für Chancengerechtigkeit ein. Nach drei Jahrzehnten geht er in Pension.
Start im Tief
Als Schoch seine Stelle antrat, war auch der Erfolg der Schule überschaubar. Die Schülerzahlen waren im Tief, für die Primarlehrerausbildung lagen keine Anmeldungen vor. «Es war eine gute Zeit, um anzufangen», sagt Schoch. Das junge Lehrerteam habe sich stark mit der Schule identifiziert, die konservative Riege, die Veränderungen im Weg stand, war pensioniert.
Schoch hatte drei Jahre an einer Sekundarschule in Frauenfeld unterrichtet und Erziehungswissenschaften studiert. Als 34-jähriger Assistent und Lehrbeauftragter am Pädagogischen Institut der Universität Zürich bewarb sich der Winterthurer als Direktor in Zürich. Zuvor hatte Jürg Schoch drei Jahre als Jugendleiter beim Cevi gearbeitet.
Die Schule ist eine Baustelle
Schoch sitzt im an Bäumen reichen Park, der das denkmalgeschützte Schulhaus umgibt. Kurz vor seiner Pensionierung wollte mit der Corona-Krise nochmals eine Herausforderung bewältigt sein. Aber mit Veränderungen kennt Schoch sich aus. Das ist auch an den Gebäuden auf dem Schulareal abzulesen. In seine Amtszeit fielen zahlreiche Umbauten und Neubauten. Die Schule ist stark gewachsen.
Zur Innovation war Unterstrass in einer Bildungslandschaft, in der kaum ein Stein auf dem andern blieb, gezwungen. Inzwischen warten angehende Primarlehrerinnen manchmal ein Jahr, um hier studieren zu dürfen. Der Stolz in Schochs Stimme ist nicht zu überhören. Es ist ein Stolz auf sein Team.
Ernüchtert, aber nicht entmutigt
Die Schule reagierte jedoch nicht nur auf Druck von aussen. «Unterstrass war immer eine Aufsteigerschule», sagt Schoch. Sie verlangt zwar Schulgeld, verfügt aber über einen Stipendienfonds für Jugendliche, deren Eltern die Mittel nicht aufbringen können. Und das Projekt «Chagall» hilft Migrantinnen und Migranten auf dem Weg ins Gymnasium.
«Im Bildungssystem zählt leider Herkunft mehr als Leistung», sagt Schoch. «Chagall» sei nicht mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein. «Aber ein wichtiger Tropfen.» Schoch klingt desillusioniert und dennoch nicht entmutigt.
Die evangelischen Wurzeln
20 Prozent der Schüler seien nur an Schweizer Mittelschulen, da sie von ihren Eltern gepusht würden. «Sie nehmen jenen, die sozial schlechtergestellt sind und eigentlich mehr leisten, den Platz weg.» Schoch fordert, bis zur achten Klasse auf Selektion zu verzichten. Der Übergang zur Sekundarstufe komme für alle, die in der Sprache einen Rückstand wettmachen müssen, zu früh.
Für Gerechtigkeit kämpfen, obwohl sich die Ungerechtigkeit nicht aus der Welt schaffen lässt: Die Energie dazu verdankt die Schule ihren evangelischen Wurzeln, die Schoch wichtig sind. Neben einem «soliden Bildungsrucksack» will er Schülerinnen und Schülern «ein gesundes Selbstwertgefühl und Verantwortungsbewusstsein für die Mitmenschen und die Natur» mit auf ihren Weg geben.
Schoch wollte eine Kultur etablieren, in der die Leistung zählt, aber der Mensch hinter den Noten trotzdem nie vergessen geht. Das spürt, wer mit ihm durch seine Schule geht.
Jürg Schoch, 65
Seit 1990 war Jürg Schoch Direktor des Gymnasiums und Instituts Unterstrass. 2019 feierte die Schule ihr 150-jähriges Bestehen. Eva Ebel, bisher Co-Leiterin des Studiengangs Quereinstieg sowie Dozentin für Religion, Kultur und Ethik am Institut Unterstrass, tritt seine Nachfolge an.