Recherche 24. August 2021, von Rita Gianelli

Aus Geschäftspartnern sind Freunde geworden

Afghanistan

Das Ehepaar Häfliger reiste bis 2019 einmal jährlich nach Afghanistan – der Edelsteine wegen, die es im Hindukusch gibt. Heute finanzieren sie drei Schulen in Nuristan.

In seiner Stube in Guttannen, dem letzten Dorf vor dem Grimselpass, ist es auch im Sommer kühl, wie in einem afghanischen Haus am Hindukusch. Die Holzdielen sind bedeckt mit handgeknüpften afghanischen Teppichen und die lange Sitzbank ist gepolstert mit bestickten Kissen – das kunstvolle Handwerk nomadischer Paschtunenfrauen. «Doch leider verschwindet das immer mehr, weil selbst in den abgelegenen Gegenden Billigware aus China den Markt verändert», erzählt Josef Häfliger. 1993 besuchte der gelernte Buchbinder und Gemmologe (Fachmann für Edel- und Schmucksteine) mit seiner Frau Johanna Zentralasien zum ersten Mal. Aus geschäftlichen Gründen. «Als Strahler ist für mich der Hindukusch eine spannende Region», erzählt Häfliger. Steine wie Turmaline, bestimmte Kristalle und vor allem den tiefblauen Lapislazuli gibt es nur im Hindukusch, der grösstenteils in Afghanistan liegt. In der Schweiz verkaufte er die Steine an Märkten und Messen.

Zuverlässige Partner

Seine ersten Reisen nach Zentralasien führten ihn in den Iran, nach Pakistan und Turkmenistan. An den Grenzen der Nachbarländer Afghanistans überbrachten ihm die Steinlieferanten aus Nuristan die Ware. Bezahlen musste er im Voraus. «Hintergangen wurde ich nie», so Häf­liger, der nicht nur mit Kristallen handelt, er verarbeitet sie auch: Kelche und Kronleuchter für Kirchen und Kunstobjekte wie Karaffen und Früchteschalen vor allem für arabische Länder. «Besonders gefragt waren Falken und Adler aus Kristall», sagt Häfliger. Einer seiner Kristallfalken hatte eine Flügelspannweite von zwei Metern und einen Wert im sechsstelligen Bereich. Solche exklusive Kunstwerke verkaufte er in die Arabischen Emirate, nach Oman und Katar. Direkt nach Afghanistan, nach Kabul, konnte das Ehepaar 1998 erstmals reisen. Josef Häfliger erinnert sich: «Die Stadt war arg gebeutelt, die Taliban übernahmen neu die Macht.» Aber damals habe ein Grossteil der afghanischen Bevölkerung die Taliban nicht als Unterdrücker wahrgenommen. «Nach dem langen Kampf gegen die russische Besatzung brachten sie auch Ruhe und Ordnung in weite Teile des Landes», sagt Häfliger und erinnert sich auch an Gespräche, die er mit Mitgliedern der Taliban geführt hatte. «Das waren teils in den USA akademisch ausgebildete Männer, die gesprächsbereit und auf Frieden orientiert waren.» Heute sei das nicht mehr möglich.«Es ist wohl Afghanistans Verhängnis, dass es immer wieder das Ausland um Hilfe gebeten hat, anstatt die eigenen Probleme selbst zu lösen», ist er überzeugt. Afghanistan sei ein sehr konservatives Land, die Demokratie, wie wir sie kennen, funktioniere in den abgelegenen patriarchalisch organisierten Gesellschaften nicht. «In einer Gegend, die bis heute keinen Geld-, sondern nur Tauschhandel kennt, sind die Menschen mehr aufeinander angewiesen als anderswo», sagt Häfliger.

Handarbeit für Mädchen

Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie haben Josef und Johanna Häfliger Afghanistan jedes Jahr besucht, denn aus den Geschäftsbeziehungen hatten sich Freundschaften mit den Menschen aus Nuristan in Ostafghanistan entwickelt. Ihre Reisen dorthin unternahmen sie mit Auto und Chauffeur und mehrtägigen Fussmärschen, über Pässe auf 5000 Höhenmetern, bis sie die Dörfer ihrer Freunde erreichten. «Die Armut ist gross, genauso wie die Gastfreundschaft», sagt Johanna Häfliger, die vor ihrer Ausbildung zur Psychiatriepflegerin auch Damenschneiderin gelernt hat und für die Mädchen in Nuristan den Handarbeitsunterricht initiiert hat. Sie staunt ob der Handfertigkeit der Frauen in Nuristan. «Nie habe ich solche wunderbaren Stickereien gesehen.» «Diese Menschen könnten das Geld für eine Flucht nie aufbringen», ergänzt Josef Häfliger, der sich wie seine Frau mit den Menschen aus Nuristan sehr verbunden fühlt. «Sie sind gar nicht so anders als wir», weiss er aus seiner Erfahrung. Wie die Bewohner und Bewohnerinnen in den Alpen im Berner Oberland oder im bündnerischen Prättigau, wo Häfligers Sohn lebt, betreiben die Nuristani Klein- und Alpwirtschaft, halten Schafe und Ziegen und kämpfen ebenso mit den Naturgefahren. «Wir haben die Lawinen, sie die Erdbeben», sagt Häfliger und blickt nach draussen, wo Familien mit Rucksäcken und in Sportbekleidung auf dem touristisch aufbereiteten alten Säumerweg sein Haus passieren.

Studieren in Kabul

«Eigentlich wollten wir das alles gar nicht», antwortet Josef Häfliger und meint damit die Stiftung Schulen für Afghanistan, die er 2004 gegründet hat. «Jusuf», wie ihn die Nuristani nennen, erzählt, wie es dazu kam: Eines Tages habe ihn einer der Dorfältesten gefragt, ob er ihnen bei der Installation des elektrischen Lichts für die Moschee helfen könne. Er sei natürlich sofort bereit gewesen, seine Freunde zu unterstützen, erzählt Häfliger. Unter einer Bedingung: «Zuerst bauen wir eine Schule für die Kinder.» Inzwischen gibt es drei Schulhäuser in Nuristan, in denen insgesamt 20 Lehrer rund 350 Kinder unterrichten. «Sie sind die mutigsten Menschen, die ich kenne», sagt Johanna Häfliger, «denn sie riskieren ihr Leben für den Unterricht.» Sobald die Taliban im Anzug sind, tauschen sie die Lehrbücher rasch gegen den Koran. Zwölf Jugendliche haben die Aufnahmeprüfungen für das Gymna­sium in Kabul und Jalalabad bestanden, und vier Frauen besuchen die Universität in Kabul. Die Stiftung bezahlt die Internatsgebühren und die Schulkleidung ihrer Schützlinge. Auch die Infrastruktur für die Praxis eines befreundeten Arztes in Nuristan besorgte die Stiftung.

Kristalle im Keller

Josef Häfliger schleift noch immer Kristalle in seiner Werkstatt im Keller seines Bauernhauses. Hier lagert auch das Inventar für die Ausstellungen, die er jährlich organisiert, um Geld zu sammeln. «Wir kennen jeden unserer Spender gut.» An den Holzwänden sind die Fotoarbeiten des befreundeten Arztes angebracht. Es sind Porträts von Kindern aus Nuristan. «Wie es jetzt weitergeht, wissen wir nicht», sagt Johanna Häfliger. Kürzlich erhielt das Ehepaar eine Mail einer Mitarbeiterin aus Jalalabad. Sie schreibt: «Heute begannen Tausende junger Frauen ihr Studium. Sie tun dies nicht zuletzt auch, um ihren Wissensdurst kundzutun und gegen die Drohungen der Taliban zu demonstrieren, die uns von der Bildung abhalten wollen. Wir alle tun dies mit dem ganzem Engagement und der vollsten Entschlossenheit aller afghanischen Frauen und der friedliebenden afghanischen Bevölkerung, auch wenn wir dabei riskieren, getötet zu werden. Wir sagen Nein zum Krieg und zum Terrorismus.» Vor wenigen Tagen war das ein Hoffnungsschimmer für das Ehepaar. Jetzt ist der Kontakt schwierig. «Wir wissen nicht, was mit ihnen geschieht.»

Schulen für Afghanistan

Die von Johanna und Josef Häfliger ins Leben gerufene Stifung Schulen für Afghanistan organisiert jährlich eine Ausstellung mit Bildern und Informationen über Projekte in Afghanistan. Ausgestellt werden persisch-afghanische Miniaturen, Teppiche, Stickereien und Kristallwaren. Das Ehepaar Häfliger gastiert damit auch in Masein. An der Generalversammlung des Vereins Offene Viamala, der sich für geflüchtete Menschen einsetzt, hält das Ehepaar einen Vortrag über die Afghanistan-Projekte. Sie findet am 15. September, 19.30 Uhr im Roten Haus in Masein statt. Weitere Ausstellungsdaten sind: 1. bis 3. Oktober, in Guttannen. Dort gibt es Musik vom Trio Anderscht. Das Trio hat bereits mehrere Male die Ausstellungen der Häfligers begleitet. Zentral in seiner Musik ist das Hackbrett, dessen Ursprung in Zentralasien liegt. www.nuristan.ch, www.offeneviamala.ch