Ackerpflanzen der Welt auf einem Drittel-Fussballfeld

Landwirtschaft

Vier Weltacker gibt es unterdessen in der Schweiz. Jener bei Bern feiert seinen fünften Sommer – und hat sich zu einem Publikumsmagnet entwickelt. 

Leichte Nebel lösen sich auf an diesem Spätsommermorgen, als die Sonne langsam die weite Luft über dem Weltacker erwärmt. Auf dem ebenen Boden zwischen dem Vorort Zollikofen und der Stadt Bern kann der Blick bis zum Hochalpen-Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau schweifen. Und im Vordergrund reifen Reis, Kaffee, Maniok und Hirse.

Oder besser: würden reifen, wenn das Klima den Pflanzen besser entspräche. «Es ist schon herausfordernd», sagt Rahel Gunsch, Co-Leiterin des Projektes Weltacker Bern. Kulturen, die sich in tropischer Umgebung wohl fühlen, in Bern erntereif werden zu lassen, ist nicht in jedem Fall möglich. «Aber es ist ein Anliegen, denn wir wollen nicht nur ein Schaugarten sein, sondern auch Ertrag produzieren.»

Die Übermacht des Getreides

2000 Quadratmeter umfasst der Flecken Erde gleich neben dem Inforama Rütti, dem Bildungs-, Beratungs- und Tagungszentrum im Bereich Landwirtschaft bei Zollikofen. Diese Fläche – etwa ein Drittel eines Fussballfeldes – entspricht ungefähr jenem Anteil Ackerland, das jedem Menschen weltweit zur Verfügung steht, um sämtliche Produkte herzustellen, die von Menschen angebaut werden: Getreide, pflanzliche Ölquellen, Grünfutter für Tiere, Hülsenfrüchte, Genussmittel wie Tabak und Zucker, Früchte, Gemüse, Fasern wie Baumwolle und Leinen. 

Die Idee und das Erntefest

Weltacker gibt es unterdessen gemäss der Website von Weltacker Schweiz weltweit 36. Vier davon liegen in der Schweiz: Bei Bern, zwei im Aargau (Nuglar und Attiswil), einer ist in Zürich im Aufbau. Koordiniert werden sie durch den Verein Weltacker Schweiz. Die ursprüngliche Idee stammt von Benedikt Härlin, einem deutschen Journalisten und ehemaligen Politiker. In Berlin entstand der erste Weltacker, heute liegen mit 14 in Deutschland auch am meisten der Anschauungsstücke. Sie sollen aufgrund des Weltagrarberichtes das Verständnis fördern für die menschlichen Extistenzgrundlagen. Die Hauptanliegen des Projekts sind:

- Es ist genug für alle da.
- Jeder Bissen hat seinen Ort.
- Leben ist Vielfalt – Vielfalt ist Leben.

In diesem Sinn gibt es beispielsweise auf dem Berner Weltacker ein öffentliches Erntefest. Es findet statt am 14. September ab 14 Uhr. Er ist aber auch sonst frei besuchbar, und es können Führungen gebucht werden.

Mehr Informationen finden sich auf der Website des Weltackers Bern.

Auf diesem Weltacker werden die 50 häufigsten Kulturen unserer Erde angebaut – und zwar anteilsmässig entsprechend der Fläche, die sie weltweit beanspruchen. Das heisst beispielsweise, dass auf fast der Hälfte des Ganzen Getreide wächst: Unter anderem sind das 290 Quadratmeter Weizen auf dem Weltacker, 265 Quadratmeter Mais, 218 Quadratmeter Reis und 83 Quadratmeter Hirse.

Die Überraschung beim Gemüse

Wer sich Zeit lässt und die Infotafeln auf dem frei zugänglichen Gelände liest, erfährt: Aus den vier Arten Weizen, Reis, Mais und Gerste werden 90 Prozent aller Getreidekalorien gewonnen – obwohl es rund 300 verschiedene Getreidearten gibt. Und eher überraschend dürfte sein: Nur 43 Prozent des Getreides verwenden Menschen direkt als Lebensmittel. Mehr als ein Drittel wird zu Tierfutter, fast ein Fünftel geht in die Produktion von Treibstoff und sonstiger Energie.

Oeku: Passend zur Schöpfungszeit

Die Fachstelle des Vereins «Oeku – Kirchen für die Umwelt» ist zwar nicht beteiligt am Weltacker, sieht aber das Projekt positiv: «Der Weltacker veranschaulicht, was wir so oft in Worten zu sagen versuchen: Er zeigt, wie viel Boden jedem einzelnen Menschen auf der Welt für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen würde, wenn alle Ackerflächen gleichmässig verteilt wären», sagt Mélanie Kern, Theologin VDM und Umweltbeauftragte bei Oeku. Die Fachstelle empfehle einen Besuch auf dem Weltacker. «Lassen Sie sich von diesem Spaziergang anregen, über das Thema «mehr als genug» nachzudenken!»

Die Schöpfungszeit beginnt jedes Jahr am 1. September mit dem Tag der Schöpfung und endet am 4. Oktober, dem Gedenktag von Franz von Assisi. Als einziger Zeitraum im Kirchenjahr orientiert sie sich nicht an der auf Jesus bezogenen Erlösungstheologie, sondern an der Theologie der Schöpfung. In unseren Breitengraden fällt der Erntedank in diese Zeit – in der Schweiz zudem der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag.

Die Fachstelle stellt  Kirchgemeinden für die Schöpfungszeit eine umfangreiche Dokumentation zur Verfügung mit Predigtimpulsen, liturgischen Texten, Anregungen für den kirchlichen Unterricht und weiteren Materialien. 

Weitere Informationen gibt es auf der Website von Oeku.

Das ist nicht die einzige erstaunliche Tatsache über den Ursprung unseres täglichen Brotes. Kaum jemand dürfte beim Streifzug durch den Supermarkt für den alltäglichen Einkauf vor Augen haben, dass alles Gemüse und alle Wurzelfrüchte (wie Kartoffeln, Maniok und Yams) bloss auf je vier Prozent der gesamten Ackerfläche angebaut werden. Oder welche riesige Vielfalt allein bei den Bohnen herrscht, die fast zwei Prozent der Ackerfläche (39 Quadratmeter auf dem Weltacker) einnehmen.

Der Ansturm der Besuchenden

Der Berner Weltacker beendet heuer seinen fünften Sommer. «Wir sind in Festlaune, es läuft wunderbar», sagt Rahel Gunsch. Sie ist wie der Co-Leiter des Berner Weltackers, Hans Reinhard, und der Weltackerbauer Martin Huggenberger angestellt von der Ökonomischen Gemeinnützigen Gesellschaft (OGG) Bern, die über den Verein Weltacker Bern als Trägerin des Projekts fungiert. Schon im vergangenen Jahr hätten sie 174 Angebote durchgeführt mit ungefähr 3500 Menschen insgesamt. Je zur Hälfte seien es Anlässe mit Schulkindern und mit Erwachsenen gewesen – und dieses Jahr dürfte ähnlich werden.

Unter den Besuchenden gebe es immer wieder auch Kirchgemeinden oder kirchliche Institutionen, sagt Rahel Gunsch. Der Verein Weltacker Bern wäre auch für weitergehende Kooperationen offen, meint sie. Mit Blick auf die Erntezeit und das Bewusstsein, wie entsteht, was wir essen, anziehen und zum Genuss oder als Energiequelle einsetzen, scheint diese Idee durchaus naheliegend.

Und auch wenn der Weltacker «idealerweise» schon bald überflüssig wäre, wie Gunsch sagt: Es dürfte noch etwas dauern, bis die Kernbotschaften des Weltackers (siehe Infobox) tatsächlich verbreitet in den Köpfen sind. Bis dahin muss der Weltackerbauer eben doch über den Winter die Oliven- und Kaffeepflanzen ins Gewächshaus stellen. Bei Zollikofen fühlen sie sich draussen einfach noch nicht ganz heimisch.