Die Liebe Gottes ist kein Angebot, sie ist eine Realität

Spiritualität

Der Autor und Referent William Paul Young begeistert mit seiner Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes ein Millionenpublikum. Und wird in christlichen Kreisen kritisiert.

Die Frage überrascht und irritiert zugleich, ist aber ernst gemeint: Was für ein Foto hat Gott von dir in seinem Portemonnaie? William Paul Young, der die Frage in den Raum geworfen hat, steht vor rund 30 Leuten im Bethaus der reformierten Kirche in Zürich-Wiedikon, die eine Hand in der Hosentasche, in der anderen das Mikrofon. 

Vertraut mit Evangelikalen 

Young ist ein christlicher Autor aus den USA, der mit seinen Büchern seit bald 20 Jahren ein Millionenpublikum erreicht. Sein bekanntestes, «Die Hütte», verkaufte sich weit über 20 Millionen Mal und wurde 2017 verfilmt, in Deutschland ist ein Musical in Planung. Ende September kam der 70-Jährige auf einer Vortragsreise nach Zürich. Obwohl es sich bei seinen Romanen nicht um «Literatur im bildungsbürgerlichen Sinn» handelt, wie Thorsten Dietz von Fokus Theologie schreibt, interviewten ihn sowohl der «Blick» als auch die NZZ. Letztere fokussierte auf den Zustand der Evangelikalen in den USA. Der «Blick» befragte Young über die Kraft der Liebe in einer gespaltenen Welt.

Beides sind Themen, mit denen sich der grauhaarige Mann mit dem stoppligen Kinnbart auskennt. Er bewegt sich selbst in evangelikalen Kreisen, nennt sie «meine Leute». Dies obwohl ihm beziehungsweise seinem Bestseller «Die Hütte» aus der fundamental-evangelikalen Ecke viel Kritik entgegenschlug. 

Interkulturelle Trinität

Einer der Gründe: Das Gottesbild, das Young entwirft, ist nicht allen genehm. Gott, den die Hauptfigur Mackenzie nach einem schweren Schicksalsschlag in einer Hütte persönlich kennenlernt, ist eine füllige Afrikanerin, der Heilige Geist eine ätherische Asiatin, Jesus ein maximal durchschnittlich aussehender jüdischer Handwerker. 

Allen dreien ist gemeinsam, dass sie die reine, bedingungslose Liebe verkörpern und jedes Wesen ungeachtet seiner Taten lieben. Das ist für Menschen, die im Laufe ihres Lebens durch kirchliche Institutionen oder Gemeinschaften unter einem hierarchischen, strafenden oder fordernden Gottesbild gelitten haben, eine grosse Befreiung.

Gott redet mit uns, wenn wir uns Zeit nehmen zu hören.
William Paul Young, Bestsellerautor

Unter den Gästen im Bethaus befinden sich tatsächlich einige mit einem freikirchlichen Hintergrund. Young selber zählt sich dazu. Seine Eltern waren Missionare in Niederländisch-Neuguinea (heute Indonesien) und seine Kindheit und Jugend geprägt von Gewalt, Missbrauch und dem Druck, die Anerkennung Gottes zu gewinnen. 

Heute ist Young davon überzeugt, dass Gott ein Beziehungswesen sei, «nichts anderes als Liebe», wie er in seinen Büchern und Vorträgen wortgewandt und mit einer Portion Humor nicht müde wird zu betonen. Darauf zielt auch die Frage nach dem Foto in Gottes Portemonnaie ab: Wir alle sind zu jeder Zeit die Lieblingsmenschen Gottes. 

Mit dieser Auffassung, die Liebe Gottes sei kein Angebot, sondern eine Realität, halte sich Young strikt an die Bibel, ist Thorsten Dietz von der Fachstelle für Erwachsenenbildung der reformierten Landeskirche des Kanton Zürich überzeugt. Der Theologe zitiert Apostel Paulus: «Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich» (2 Kor 5,19).

Auch für Fragen aus dem Publikum nimmt sich der Autor Zeit. Ein ehemaliger Pastor einer Freikirche meldet sich: Er kenne viele Christen, die sich mit Gott eine ähnlich persönliche Beziehung wünschten, wie sie Youngs Protagonist habe. «Weshalb erleben die meisten Christen, mich eingeschlossen, diesen Dialog mit Gott nicht?», fragt er mit unverblümter Ehrlichkeit. 

Abkürzen funktioniert nicht

Er selber sei auch einer davon, antwortet Young. Doch wenn er auf sein Leben zurückschaue, stelle er fest, dass seine Mitwirkung verloren gegangen wäre, hätte sich Gott deutlicher offenbart. «Wir möchten gern die Abkürzung, doch wir müssen uns durch das Beschädigte in uns hindurcharbeiten.» 

Jetzt nimmt Young seine Hand aus der Hosentasche, klopft sanft auf seine Brust, während er sagt: «Genau hier kommuniziert Gott mit uns! Nehmen wir uns Zeit, zu hören und durch unsere Beziehung mit ihm zu wachsen.»