Gesellschaft 11. April 2024, von Sandra Hohendahl-Tesch

Gutes tun, tut auch ihm gut

Freiwilligenarbeit

Kekse, Käse und Kiwis: Für das «Tischlein deck dich» bringt Hansruedi Zahnd als Fahrer Esswaren zu Armutsbetroffenen.

Einst machten Baustellen das Herzstück seiner Arbeitstage aus. Damals realisierte Hansruedi Zahnd als Projektleiter für Infrastruktur bei den SBB zahlreiche Bauvorhaben in der Ostschweiz. So etwa den Bahnhof Winterthur. Beim Gesamtumbau trug er die Mitverantwortung dafür, dass das komplexe Vorhaben reibungslos ablief.

Planung und Koordination sowie das Überwachen von Infrastrukturprojekten im Bereich des Schienenverkehrs, die Verhandlungen mit Stakeholdern aus Wirtschaft und Politik prägten seinen Berufsalltag. «Im Büro zu sitzen, war nie meins», sagt er. Wann immer er konnte, sei er auf der Baustelle gewesen. Während Zahnd erzählt, kann man ihn sich lebhaft vorstellen, wie er mit einem leuchtend gelben Helm auf seinem Kopf fasziniert dem Treiben von Baggern und Kränen zuschaut.

Vor dem Abfall gerettet

Heute ist Zahnd im Ruhestand. Doch das Funkeln in seinen Augen verrät, dass er diesen eigentlich für eine Zumutung hält. Nur zu Hause sitzen und darauf warten, bis seine Frau das Mittagessen zubereitet hat? «Nein, danke», sagt der rüstige Ostschweizer, der nun eine Kiste mit Gemüse in den Händen hält. Blumenkohl, Tomaten, Spargeln, Peperoni: eine farbenfrohe Augenweide. «Das ist doch unglaublich, dass das alles im Abfall landen würde», bemerkt er.

Seit einem Jahr arbeitet Zahnd als freiwilliger Fahrer bei der Organisation «Tischlein deck dich». Diese nimmt einwandfreie, nicht verkaufte Lebensmittel als Spende von den Detailhändlern entgegen und verteilt sie an armutsbetroffene Menschen in der ganzen Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein. Allein im vergangenen Jahr war es die unglaubliche Menge von 7120 Tonnen.

Das Logistiklager, eines von insgesamt sieben, befindet sich im Quartier Grüze in Winterthur. In der riesigen Halle beginnt Zahnds Einsatz auch an diesem Montagmorgen. Als Erstes wirft er einen Blick auf seinen Einsatzplan, der ihm verrät, was er heute wohin bringen muss. Mit einer Karre lädt er die Kisten mit den Lebensmitteln stapelweise auf und schiebt sie routiniert zur Rampe. Darunter Ravioli in Büchsen, Guetzli in Multipackungen, Fisch aus dem Gefrierraum sowie Kisten voll mit leuchtenden Orangen.

Einen Franken pro Einkauf

Vor einer offenen Tür macht er halt, steckt seinen Kopf hinein, «guten Morgen», ruft er den Frauen und Männern zu, die an Tischen Gemüse und Früchte triagieren. Sie sortieren aus, was faul ist, machen das Geniessbare für den Transport bereit. Soziale Kontakte sind Zahnd wichtig. «Unter den Freiwilligen sind auch ehemalige Journalisten und Banker», sagt Zahnd und geht auch schon wieder weiter.

Vier- bis fünfmal im Monat setzt sich der 70-Jährige hinters Lenkrad, um einzelne von den schweizweit insgesamt 158 Abgabestellen zu bedienen. Sogar an Feiertagen wie Ostern oder Weihnachten ist er manchmal im Dienst. An diesem Tag steht Altstetten auf dem Programm. Dort wird die Ware gegen Mittag entgegengenommen und später für einen Franken pro Einkauf an Armutsbetroffene abgegeben.

Beim Beladen des Lastwagens geht Hansruedi Zahnd organisiert vor, zuerst die haltbare Ware, dann die Tiefkühlprodukte und zuletzt das Frische. Fein säuberlich, wie damals, als er die Arbeiten auf der Baustelle der Bundesbahn koordinierte.

Im Jahr 2023 stellte die Organisation für 1,8 Millionen Menschen Lebensmittel bereit. Angesichts dieser hohen Zahl sei er demütiger geworden. «Nicht allen geht es so gut wie mir», sagt er und schliesst den Laderaum. Sein Engagement habe gleich mehrere positive Effekte. Er helfe, die Not zu lindern. Mache aktiv etwas gegen Foodwaste. Und tue sich darüber hinaus selbst etwas Gutes: Beim Fahren kann Zahnd entspannen und die Gedanken schweifen lassen.