Der Tod eint alle und bietet Raum für Vielfalt

Lebensende

Mit dem Projekt «Heitere Tod» wollen Andrea Suter und Hannes Hergarten den Diskurs zum Thema Tod anregen. Inspiriert dazu hat sie die Erkenntnis, dass der Tod inklusiv ist.

Nein, es «tötelt» nicht, wenn man in das Sarg-Atelier von Andrea Suter und Hannes Hergarten tritt. Da stehen zwar Särge, aber sie rufen in einem kein mulmiges Gefühl hervor, wie das beim Anblick von Särgen oder Urnen sonst meist der Fall ist. Vielleicht ist es auch der zweckmässig, aber verspielt eingerichtete Raum am Heckenweg 1 in Bern, in den die beiden gerade erst mit ihrem Atelier eingezogen sind, der mehr Lebendigkeit denn Andächtigkeit versprüht. Oder es ist tatsächlich auch die unkonventionelle Gestaltung der Särge: Aus mehr oder weniger rohem Holz, in simpler, funktionaler Form, aber bunt geschmückt und ausgekleidet mit gemusterten Stoffen. Und womöglich tut das lockere Auftreten von Suter und Hergarten das Seine dazu.

«Wir wollen den Tod aus dem privaten in den gesellschaftlichen Bereich holen», sagt Hannes Hergarten. Unter dem Namen «Heitere Tod» und der Leitfrage «Wem gehört der Tod und was machen wir daraus?» versuchen die beiden, den gesellschaftlichen Diskurs zum Thema Tod zu öffnen. «Auf eine gute Art», so Hergarten, sollen sich die Menschen mit dem Tod auseinandersetzen können. 

Handwerk, Gespräche und Feiern

Ihr Projekt umfasst vier Pfeiler. Im Sarg-Atelier gibt es einmal pro Monat an einem Sonntag die Möglichkeit, dass sich Interessierte in Gemeinschaft auf kreative, sinnliche und interaktive Weise mit dem Tod auseinandersetzen. Dazu gehören Inputs von Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen und die Mithilfe beim Auskleiden der «Heitere Särge».

Die «Heiteren Särge» bilden einen weiteren Projektteil. Ein inklusives Team stellt sie in einer Werkstatt im Tscharnergut im Westen Berns aus Recycling- und Restholz her. In der Sarg-Werkstatt kann man unter fachkundiger Anleitung auch seinen eigenen Sarg bauen.

Weiter bieten Suter und Hergarten Erinnerungs- und Abschiedsfeiern an, und sie veranstalten kulturelle Anlässe, bei denen sie ein grosses Publikum mit Akteuren und Akteurinnen aus Kultur, Pflege, Medizin, Bestattung und Ritualarbeit vernetzen, um damit den Diskurs zum Thema Tod anzuregen.

Der Tod verbindet bereits im Leben alle

Hergarten und Suter arbeiten schon viele Jahre zusammen. Sie haben den Kulturort «Heitere Fahne» in Wabern bei Bern mitaufgebaut und betrieben und veranstalten das jährlich in der Region Bern stattfindende inklusive Musik- und Theaterfestival «Säbeli Bum». «Wir wollten immer dorthin gehen, wo sich Menschen verbinden wollen», sagt Hergarten. Der Tod habe diesbezüglich ein grosses Potenzial. 

Der Tod zeigte sich als inklusive Möglichkeit, um sich mit anderen Menschen zu verbinden.
Andrea Suter vom Projekt "Heitere Sarg"

Der Schlüsselmoment ihres heutigen Engagements war eine Diskussionsveranstaltung in der Heiteren Fahne zum Thema Tod. Ein sehr diverses Publikum – Kinder, Erwachsene, Menschen mit und ohne Einschränkungen, Menschen mit unterschiedlichem Zugang zur Spiritualität – beantwortete dort die Frage nach der eigenen Vorstellung davon, was nach dem Tod kommt. «Jede Meinung hatte ihre Berechtigung, keine wurde kritisiert», sagt Suter. Der persönliche Hintergrund der Personen habe keine Rolle gespielt, der Tod sich als inklusive Möglichkeit gezeigt, um sich mit anderen Menschen zu verbinden. «Es war sehr befreiend zu sehen, dass es bei diesem Thema nichts Wahres oder Falsches gibt», sagt Hergarten.

Nun setzten sie auf Handfestes, wie sie sagen, um sich dem Thema zu nähern. Eigens produzierte Särge eben. Denn Särge haben etwas Verbindendes: In der Schweiz braucht jede Person irgendwann einen, auch wenn man sich kremieren lassen will. Und: «Im Machen kann man sich gut mit all den Fragen rund um den Tod auseinandersetzen», sagt Hergarten. Wie das Duo dabei den Tod sozusagen ins Leben zu holen versucht, illustriert das Beispiel einer 80-Jährigen, die sich einen eigenen Sarg baute. Es stellte sich die Frage, wohin damit, solange der Sarg noch nicht gebraucht wird. «Die Frau entschied sich, den Sarg als Sitzbank in ihr Wohnzimmer zu stellen», erzählt Suter.

Unterstützung von der reformierten Kirche

Im Rahmen ihres Projektes suchen Suter und Hergarten immer wieder auch die Nähe zu den Kirchen. Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn (Refbejuso) seien die ersten gewesen, die ihr Projekt unterstützt hätten. Im Rahmen des Erprobungsfonds «Kirche in Bewegung» erhalten sie finanzielle Unterstützung von Refbejuso, als eines der wenigen Projekte, die nicht unter einem kirchlichen Dach stünden. «Das finde ich eine tolle Anerkennung der reformierten Kirche», sagt Suter.

Verschiedentlich kam es seither zu Berührungspunkten mit der reformierten Kirche. Dies auszuprobieren ist eines der Ziele von Hergarten und Suter. So hielten kirchliche Fachpersonen Inputs an den sonntäglichen Sarg-Ateliers oder stellten sich am Festival «Plötzlich Tod» von letztem Frühling zusammen mit Experten und Expertinnen aus anderen Bereichen den Fragen eines breiten Publikums. Während drei Monaten war das Projekt Heitere Tod auch in der in Zwischennutzung befindlichen Berner Markuskirche zu Gast. «Wir sehen uns als Ergänzung zum Angebot der Kirchen», sagt Suter.

Hergarten und Suter suchen weiterhin nach möglichen Anknüpfungspunkten. «Etwa bei unseren Abschiedsfeiern ist es sehr wünschenswert, dass wir mit anderen zusammenspannen können, gerade mit Pfarrpersonen», sagt Suter.

Damit das Projekt längerfristig zum Fliegen kommt, arbeiten die beiden derzeit an der Finanzierung. «Unser Wirken muss noch bekannter und besser genutzt werden», sagt Hergarten. Eine Kommerzialisierung ihres Projekts kommt aber nicht in Frage. «Wenn du gesellschaftlich etwas bewegen willst, kann es nicht das Ziel sein, dass es kostendeckend ist. Ich hoffe, dass man das, was wir machen, versteht, und uns unterstützt», sagt Hergarten mit Blick auf die Zukunft.

Neue Perspektiven für den Umgang mit dem Tod

Suter und Hergarten sind überzeugt, etwas gesellschaftlich Sinnvolles beizusteuern. Auch persönlich hat sie ihre Arbeit beeinflusst. Hergarten nimmt den Tod, wie er aktuell «gelebt» wird, als sehr zurückgezogen in der Familie, privat und einsam wahr. Er hegt einen Wunsch für die Gesellschaft: «Ich fände es schön, wenn es ein Fest gibt, wenn jemand stirbt.» Und Suter gewann nach dem Suizid ihres Vaters neue Perspektiven: «Ich achte mich viel mehr, wie andere mit dem Tod umgehen. Diese Vielfalt gibt mir Kraft, meinen Weg darin auch zu finden.»