Gesellschaft 21. Juni 2024, von Klaus Petrus/kirchenbote.ch

Der Goalie ist Heini Hassler – die andere Fussball-WM

Sport

Fussball ist mehr als EM und Meisterschaften. Das zeigt «Heini» Hassler, der im Team des Strassenmagazins Surprise spielt. Hier erlebt er, dass er dazu gehört.

«Natürlich bin ich ehrgeizig. Wenn es nicht läuft, und ich weiss, das kann ich besser, dann versuche ich das nächste Mal alles zu geben.» Heinrich «Heini» Hassler, wohnhaft in Chur, drahtig, mit tausend Falten im Gesicht, ist mit seinen 65 Jahren bestimmt der älteste Torhüter, den das Männerteam vom Strassenfussball Surprise jemals hatte. 

Fairplay und Respekt sind das Wichtigste. Und ums grosse Geld geht es schon gar nicht.
Heini Hassler, Strassenfussballer im Männerteam von Surprise

Auf die Frage, was denn das Besondere am Strassenfussball sei, sagt er mit einem Augenzwinkern: «Wir spielen halt nicht auf dem Rasen, sondern auf der Strasse.» Gefährlich sei das nicht, fügt Hassler gleich hinzu und kommt damit auf den Kern dieser «anderen» Art des Fussballs zu reden: «Bei uns gibt es nur selten Fouls und kaum Verletzte. Fairplay und Respekt sind das Wichtigste. Und ums grosse Geld geht es schon gar nicht.»

Weltmeisterschaft der Strassenfussballer

Heini Hassler, der Fussballfan, fiebert an diesen Tagen der EM mit der Schweizer Nati. Doch eigentlich ist er in Gedanken bereits 9000 Kilometer weit weg in Seoul, der Hauptstadt Südkoreas. Dort findet im September der Homeless World Cup statt, die WM des internationalen Strassenfussballs. 

Früher durften nur Obdachlose teilnehmen. Inzwischen ist das Turnier für alle offen, die in irgendeiner Weise prekär leben müssen: armutsbetroffene, süchtige, verschuldete oder psychisch erkrankte Menschen. An die 500 Spielerinnen und Spieler innen aus 50 Ländern werden dieses Jahr in Seoul mitmachen, auch Surprise ist dabei: mit einem Frauenteam und der Männermannschaft mit Heini Hassler zwischen den Pfosten.

Vom Eiskunstläufer zum Fussballer

Bis zu seinem 14. Lebensjahr hatte Hassler mehrmals am Tag epileptische Anfälle. Kognitive Beeinträchtigungen sowie Mühe beim Lesen und Schreiben waren die Folge. Er konnte keine Ausbildung machen, musste oft unten durch. Seine grösste Stärke sei, im Leben wie im Sport: «Ich denke positiv, versuche immer, aus allem zu lernen, es besser zu machen.» 

Es ist völlig unwichtig, wer du bist, woher du kommst oder was du kannst.
Janosch Martens, Projektleiter Strassenfussball beim Verein Surprise

Zweimal nahm Hassler als Eiskunstläufer an den Special Olympics teil, 2005 holte er in Japan sogar Gold. Zu Surprise kam er vor vier Jahren über einen Bekannten, seitdem verkauft er in Chur, Davos und Zürich das Strassenmagazin. Dass er, der Sportler, schon bald an den Trainings des «FC Surprise» erschien, war nur folgerichtig.

«Wichtiger ist der Teamgeist»

Dabei sei der sportliche Erfolg beim Strassenfussball eigentlich zweitrangig, sagt Janosch Martens, Projektleiter Strassenfussball beim Verein Surprise. «Wichtiger ist der Teamgeist. Wir verbringen viel Zeit miteinander, auch neben dem Fussballfeld, wir reden über unsere Stärken und Schwächen – und wie wir einander unterstützen können.» 

Für Martens liegt das Besondere am Strassenfussball in seiner Diversität. «Unsere Liga ist nicht speziell für Jugendliche oder Geflüchtete oder Beeinträchtige gedacht. Bei uns spielen alle in derselben Mannschaft, und es ist völlig unwichtig, wer du bist, woher du kommst oder was du kannst», sagt Martens. «Wer bei uns spielt, tut etwas für die Gesundheit wie auch für den sozialen Zusammenhalt.» Dass der Strassenfussball zugleich für Themen wie Armut und Ausgrenzung sensibilisiert, ist für ihn Teil dieses sozialen Projektes von Surprise.

Gewinnen ist auch schön

Natürlich gehe es auf dem Platz auch ums Gewinnen, sagt Martens. «Gerade vor grossen Turnieren wie der WM in Seoul steigt bei den Spielerinnen und Spieler die Anspannung. Wir beginnen schon jetzt mit den Trainings und versuchen herauszufinden, wer am Ende im Team ist und nach Seoul reisen wird.» 

Heini Hassler, der Goalie, hat sein Ticket bereits auf sicher. Er spürt Respekt vor diesem einzigartigen Ereignis, aber die Vorfreude ist grösser: «Ich war schon an der EM und auch an der Olympiade – doch diese Weltmeisterschaft in Seoul übertrifft alles.»