Eine Herberge der besonderen Art

Gesellschaft

Die Theologin Esther Bühler-Weidmann betreibt «d’Herberg» in Embrach. Dabei geht es um mehr als eine simple Übernachtungsmöglichkeit. 

Mit den vielen Bäumen und Sträuchern, dem grossen Weiher und dem Wildbach, der vorbeifliesst, hat der Ort etwas Verwunschenes. Das Reihenhaus, in dem Esther Bühler-Weidmann wohnt, ist Teil der Siedlung Wyler am Teich in Embrach, die der Architekt Manuel Pauli aus Zürich 1973 entworfen und geplant hat.

Hier betreibt die Theologin gemeinsam mit ihrem Partner «d’Herberg», einen Rückzugsort für Menschen, die eine Atempause brauchen, in einer Umbruchsituation oder einer persönlichen Herausforderung stecken. In der Herberge ist man als Tagesgast oder auch für länger willkommen. Die Gäste dürfen das Haus und den Garten mitbenutzen, an der Morgenmeditation und an gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen.

Vor allem aber haben die Gastgeber ein offenes Ohr. «Manchmal braucht man einfach einen Menschen, dem man erzählen kann, wie es einem geht», sagt die Theologin.

Hoffnung heisst, die Zukunft nicht der Verzweiflung zu überlassen.

Rhein wird zum Amazonas

Am nächsten Tag wird Bühler ihren Abschiedsapéro als Spitalseelsorgerin geben. Im Ambulatorium des Unispitals im Circle war sie drei Jahre lang tätig. Ein paar Aufgaben behält sie noch. Aber jetzt soll mehr Zeit für das Herbergeprojekt bleiben. Das Paar sucht ein grösseres Haus mit vier, fünf Gästezimmern, gut erreichbar und im Grünen wie jetzt. Bühler ist überzeugt: «Die Natur ist heilsam, gerade in der Krise oder Neuorientierung.»

Auch sie selbst stärkt sich so. Etwa beim Stand-up-Paddeln auf dem nahen Rhein, an stillen Stellen mit wenig Strömung. «Man fühlt sich wie im Amazonas, nur ohne Piranhas und Krokodile, dafür manchmal mit Bibern und Eisvögeln.»

In der Herberge möchte die Theologin Hoffnungsmomente vermitteln. Auch Bühler hat solche erlebt, nachdem ihr Mann vor zwölf Jahren ganz plötzlich an einem Herzstillstand starb. Zwei Jahrzehnte lang hatte sie mit ihm das Pfarramt Rorbas-Freienstein-Teufen geteilt und steckte gerade in einer Ausbildung, um sich neu zu orientieren. 

«Wie ich und unsere drei Kinder von der Gemeinde getragen wurden, ist unglaublich», erzählt sie. Leute hätten Essen gebracht, nachgefragt, was anstehe, seien immer für sie dagewesen. «Bis heute fehlen mir die Worte dafür.» Und da war die spürbare Gegenwart Gottes. Das Wunder habe sie am eigenen Leib erlebt, sagt sie: «Wie das Dunkel sich nach und nach lichtet und der Schmerz sich in neue Lebenskraft verwandelt.»

An die Grenzen gekommen

Diese Erfahrung half ihr auch als Seelsorgerin im Bundesasylzentrum Embrach und später in der Spitalseelsorge. Im Circle arbeitete sie mit Krebskranken, hier ging es oft um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod. Heiter und innig zugleich spricht Bühler über Trauer, Verzweiflung, Sterben. Sie erzählt, wie sie im Asylzentrum an ihre Grenzen kam und dort trotzdem immer wieder Menschen begegnete, die nicht aufgaben und es schafften, hier zu bleiben. Oder sie erwähnt die überraschende Zuversicht einer Patientin, die sie im Sterben begleitet hat und jetzt beerdigen wird. 

Eine Quelle der Kraft sind für sie die Stille und die ignatianischen Exerzitien, die sie praktiziert. «In der Stille findet meine Sehnsucht nach Gott Raum», sagt Bühler. Diese ganz persönliche Spiritualität in der Stille sei etwas Intimes, über das sich nicht so leicht sprechen lasse. «Man kann es nur erleben.» Auch dafür gebe es die Herberge.

«Wir dürfen die Zukunft nicht der Verzweiflung überlassen», sagt die Theologin mit Blick auf den Zustand der Welt entschlossen. Der Glaube an Jesus, der von den Toten auferstand, ist für sie «ein grosses Trotzdem wider alle Ohnmacht». Sie glaubt fest daran, dass sich das Reich Gottes manchmal auch im Hier und Jetzt ereignet. «Etwas von dieser Hoffnung möchte ich den Menschen in der Herberge mit nach Hause geben», sagt Esther Bühler.