Gesellschaft 11. Dezember 2025, von Cornelia Krause

Hilfestellung für Kinder mit Eltern in Haft

Diakonie

Die Beratungsstelle Extramural wendet sich neu mit Erklärvideos an die Jüngsten der Angehörigen Inhaftierter. Die Filme sollen auch ein Werkzeug sein für Schulen und Behörden. 

Comedian Julia Steiner beugt sich über den Töggelikasten. Der Tisch steht nicht etwa zur Entspannung gestresster Angestellten in einem Büro oder in einer Kneipe, sondern im Gefängnis Affoltern am Albis. «Das Leben hier drinnen ist auf den ersten Blick nicht so anders als draussen», sagt Steiner, nun mit Blick in die Kamera. «Früh aufstehen und schaffen, etwas Freizeit, aber hier passiert alles hinter Gittern.»


Steiner, ausgebildete Lehrerin, richtet sich im gut zehnminütigen Film an Kinder und Jugendliche, deren Familienmitglieder inhaftiert sind. Sie besucht darin den medizinischen Dienst, die Gefängnisschule und begleitet einen Häftling bei der Arbeit. Während Steiner den Alltag zeigt, nimmt in einem anderen Kurzfilm Poetry-Slammer Jeremy Chavez die Perspektive junger Besucher ein. «Warum dürfte ich mein Lieblingskuscheltier nicht mitnehmen?», fragt er die Mitarbeiterin an der Eingangsschleuse zur Haftanstalt. 

Die insgesamt vier Filme sind das jüngste Projekt der 2023 im Kanton Zürich von der reformierten und der katholischen Kirche gemeinsam gegründeten Beratungsstelle für Angehörige Inhaftierter, Extramural. Seit dem Herbst sind sie aufgeschaltet, auf den Websites von Extramural und dem Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung (Juwe) des Kantons Zürich. 


«In erster Linie sollen die Filme Kindern und Jugendlichen die Angst vor dem Gefängnis nehmen und zeigen, in welchem Umfeld der oder die Angehörige nun lebt», sagt Extramural-Leiterin Ivana Mehr. Auch helfen sie, Besuche im Gefängnis vorzubereiten. «Die meisten Kinder können sich erst nicht vorstellen, was sie dabei erwartet.» 

Aus Scham verschwiegen

Schätzungen zufolge leben in der Schweiz rund 9000 Kinder mit einem inhaftierten Familienmitglied, genaue Zahlen fehlen. Direkten Kontakt mit den Kindern hat Ivana Mehr nicht, in der Regel wenden sich deren Bezugspersonen an sie. Erst stünden meist Fragen zu Justizverfahren und Alltagsorganisation im Vordergrund, dann komme das Thema Kinder zur Sprache. 


In ihrer Arbeit beobachtet Ivana Mehr immer wieder, dass sich Eltern und Verwandte schwertun, mit den Kindern über die Situation zu sprechen. Nicht selten wird verschwiegen, warum ein Elternteil oder ein Geschwister plötzlich fehlt. «Aus Scham oder weil sie die Kinder schützen wollen.» Zuweilen mit fatalen Folgen. So weiss Mehr von einem Kind, das glaubte, ihm werde der Tod des Vaters verheimlicht. Manche Kinder gäben sich die Schuld dafür, dass ein Elternteil weg sei. 

Fragen und Sorgen

Filme für Kinder wie jene von Extramural gab es in der Schweiz bisher noch nicht. Das Projekt, für das Filmemacherin Annina Furrer im Gefängnis bei laufendem Betrieb drehen durfte, stiess darum bei der Direktion für Justiz und Inneres auf offene Ohren. Sie übernahm die Hälfte der Produktionskosten von rund 60 000 Franken, auch beteiligten sich der Kanton St. Gallen und das Schweizerische Kompetenzzentrum für den Justizvollzug. 


Viele Kinder hätten Fragen oder Sorgen mit Blick auf den Gefängnisalltag, heisst es auf Nachfrage bei der Juwe-Medienstelle. Diese Unsicherheiten griffen die Filme auf. Sie gäben Kindern «Orientierung in einer für sie oft sehr belastenden und schwer einzuordnenden Situation». Das Juwe sieht die Filme als wichtiges Werkzeug für Eltern, Pflegefamilien und Schulen sowie die Kesb und Sozialdienste. Künftig sollen sie auf weiteren kantonalen Seiten verlinkt werden und so ein breiteres Publikum erreichen.

Lange ein blinder Fleck

Der Umgang mit Kindern inhaftierter Eltern ist laut Juwe besonders herausfordernd. Die Umgebung sei für Kinder ungewohnt, Mitarbeitende müssten für Sicherheit sorgen und gleichzeitig den Besuch kindgerecht gestalten. Hinzu kämen teils komplexe Familiensituationen und Kinderschutzfragen.

 
Lange war die Angehörigenarbeit ein blinder Fleck bei den Behörden. In den letzten Jahren gab es deutliche Fortschritte. 2021 hat sich das Juwe zu Mindeststandards für die Angehörigenarbeit bekannt. Seit Anfang 2025 gelten zudem kantonale Richtlinien zur Umsetzung von Kinderrechten. Die am besten sichtbare Verbesserung sind die familienfreundlichen Besuchsräume, die neu in Zürcher Gefängnissen zu finden sind. Auch sie stellt Jeremy Chavez im Film vor.