Ihr Hobby ist, sich sozial zu engagieren

Integration

Die Unternehmerin Zahraa al-Assadi setzt sich in Bern in der Quartierarbeit ein, für Frauen, Migranten, politische Mitbestimmung – den Zugang dazu will sie erleichtern.

Draussen beisst die Kälte in die Wangen. Doch nach dem Eintreten ins erhellte Quartierbüro in einem der Wohnblockquartiere in Berns Westen wird einem warm – auch ums Herz. Denn in der Begegnung mit Zahraa al-Assadi springt eine positive Energie über, die tief aus ihrem Innern zu kommen scheint. Dabei hätte sie auch gute Gründe, anders zu sein. 

Seit 1999 lebt die Libanesin in der Schweiz. Wobei die Nationalitätsbezeichnung bei der 37-jährigen Migrantin nicht einfach ist. «Mein Vater kommt aus dem Irak. Er war Aktivist», beginnt al-Assadi zu erzählen und bringt damit bereits zwei wesentliche Tatsachen auf den Punkt. Zwar sind inhaltliche Zusammenhänge in ihrem Hochdeutsch manchmal nicht sofort verständlich, weil ihr mitunter die passenden Wörter fehlen – aber sie spricht quirlig und lebhaft, ist beim Erzählen immer ganz dabei. 

Chaos in den Papieren

Über Jordanien und Syrien, wo ihr Vater seine Frau kennenlernte, kamen al-Assadis Eltern in den Libanon. Dort wurde Zahraa geboren. Als sie sieben war, zog die Familie wieder nach Syrien. Bis zu ihrer Ausbildung zur Lehrerin habe sie da gelebt. Dann ist ihre Familie geflüchtet, zuerst nach Genf, später kam al-Assadi nach Bern. «Wäge däm» gebe es ein Chaos in den Papieren, wirft al-Assadi ein Wort auf Berndeutsch ein. Und den Schweizer Pass hat sie bis heute nicht. 

Seit über 20 Jahren nun lebt die Migrantin in Bern. Ihre Eltern seien wieder zurück im Irak. «Mutter hat ein warmes Herz. Ich aber war jung, konnte schnell lernen und mich integrieren», erzählt Zahraa al-Assadi. Als sie 2002 in Syrien Ferien machte, lernte sie den Vater ihrer vier Kinder kennen. Unterdessen ist sie jedoch alleinerziehend. 

Der mundtote Viertel

Zwar können sich Menschen aus dem Ausland in der Schweiz etwa mit Vereinsarbeit einbringen – so wie Zahraa al-Assadi es auch tut. Doch politisch offiziell mitreden darf ein Viertel der hierzulande lebenden und arbeitenden Frauen und Männer nicht. Nun ist die «Demokratie-Initiative» eingereicht worden. Sie verlangt, dass Ausländerinnen und Ausländer, die sich seit fünf Jahren rechtmässig in der Schweiz aufhalten, nicht verurteilt oder sicherheitsgefährdend sind und Grundkenntnisse einer Landessprache haben, auf Gesuch hin eingebürgert werden. Al-Assadi hat dafür Hunderte Unterschriften gesammelt. 

Sie absolvierte gastronomische Schulungen, bildete sich weiter in Grafik und Digital Marketing und führt nun seit bald vier Jahren ein eigenes Catering-Unternehmen, wo sie andere Frauen mit Migrationshintergrund beschäftigt, im Stundenlohn. «Ich möchte nicht sagen, dass es sehr gut läuft», meint sie ein wenig verschmitzt. Um dann mit einem Lachen gleich anzufügen: «Aber doch, es läuft gut.» 

Und – das betont die Geschäftsfrau mehr als einmal – sie bezahle alles selbst. Miete, Steuern, Krankenkasse, die Ausbildungen der Kinder, die jetzt zwischen 10 und 17 Jahre alt sind, und den Musikunterricht. Jedoch den Schweizer Pass haben selbst ihre Kinder nicht, obwohl sie in der Schweiz geboren sind, hier aufwachsen, verwurzelt und ohne direkten Bezug zu den Herkunftsländern ihrer Eltern und Grosseltern. Unter anderem liegt es auch am Geld: Das Bürgerrecht zu erlangen, kostet insgesamt rund 5000 Franken. Und das viermal.

Fehlende Mitbestimmung 

Diese hohen Hürden für politische Mitsprache sind etwas, was al-Assadi nicht versteht: Warum sollen so viele Menschen nicht mitbestimmen können, die in der Schweiz leben, arbeiten, Steuern bezahlen und teils entscheidend zum Funktionieren der Gesellschaft beitragen? Zahraa al-Assadi sagt es mit freundlichem Nachdruck und eindringlicher Vehemenz: «Viele Leute hier wissen gar nicht, was Migrantinnen und Migranten alles leisten und wie hart viele von ihnen arbeiten.» 

Darum engagiert sich Zahraa al-Assadi neben ihrer Lohn- und Familienarbeit mit Leib und Seele sozial. «Das ist sozusagen mein Hobby», sagt sie strahlend. Erst kürzlich habe sie einen neuen Verein gegründet: die Arabic Women Community, eine Gemeinschaft für Frauen mit Herkunft aus dem arabischen Raum. 

Viele Leute hier wissen gar nicht, was Migrantinnen und Migranten alles leisten.
Zahraa al-Assadi, Unternehmerin und Aktivistin

Die Gründerin hat schon Kochkurse gegeben im Quartier, weiter wirkt sie im Quartierverein mit, der im vergangenen Jahr einen Sozialpreis der Stadt erhielt, vermittelt in einer Beratungsstelle gegen Gewalt und Rassismus. Und dann schiebt sie noch einen Flyer über den Tisch für Angebote der Plattform «Wir alle sind Bern», wo sie sich ebenfalls intensiv einbringt. 

Feministin mit Kopftuch 

Dabei handelt es sich um ein «Netzwerk von migrationspolitischen Organisationen und Individuen», wie sich die Plattform selbst beschreibt. Sie setzt sich unter anderem dafür ein, dass 25 Prozent der Stadtbevölkerung – Migrantinnen sowie ihre Nachkommen, Sans-Papiers, Asylsuchende ohne bisherige Mitsprache – auch mitgestalten können, was die Gesellschaft betrifft. Ein Anliegen ist dabei das städtische Stimm- und Wahlrecht für Menschen aus dem Ausland. 

Auch die Rechte der Frauen liegen Zahraa al-Assadi am Herzen. «Seit 2018 bin ich Feministin», hält sie fest. Feministin mit Kopftuch? Sie weist darauf hin, dass auch im Mittleren Osten viele Feministinnen aktiv seien. «Für mich bedeutet das Kopftuch eine Unterstützung. Es gibt mir Kraft. Ich trage es gern.» 

Der Zusammenhang mit der Religion ist für die Muslimin nicht zentral. Das sei etwas ganz Persönliches. Sie bete nicht regelmässig, suche die Moschee nicht oft auf. «Ich bin offen für alle, egal welcher Religion. Ich bin gern im Kontakt mit anderen.»