Reformierte: «bottom-up» organisiert wie Eidgenossenschaft

Demokratie

Warum es zum Nationalfeiertag mit Bier und Wurst kam statt mit Militärparade und Machtdemonstration: Rita Famos über Zusammenhänge von Reformierten und Basisdemokratie.

«Wir Reformierten haben nicht einfach ein Machtzentrum in Rom, das die Geschicke der Kirche steuert. Wir sind, genau wie die Eidgenossenschaft ‹bottom-up› organisiert.»

Rita Famos sprach diese Sätze am Nationalfeiertag in Sissach (BL). Die Ratspräsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) war eingeladen, eine Rede zu halten zur Feier des Tages, des 800-Jahre-Jubiläums der Gemeinde und des 500-Jahre-Jubiläums der lokalen Kirche St. Jakob.

Sie stellte dabei das Christentum und die reformierte Kirche im Besonderen als zentralen Baustein der basisdemokratischen Schweiz dar. «Wir organisieren und gestalten Kirche über Netzwerke, in denen Herausforderungen geteilt und Lösungen gesucht werden und die überzeugendsten sich durchsetzen», sagte Famos.

Zusammenhalt nicht wegen Käse oder Kultur

Wenn sie im Ausland gefragt werde, was die Schweiz zusammenhalte, betone sie, dass es weder Cervelat noch Käse noch die Geographie noch Kultur oder Sprache seien. Vielmehr sei die Schweiz eine Willensnation, die mindestens von drei Klammern zusammengehalten werde.

Als eine davon nannte Rita Famos das Milizsystem, die «Vereinsmeierei» – im positiven Sinn. «Es ist getragen von Menschen, die über ihren Gartenzaun hinaus Verantwortung übernehmen.» Von jenen, die sich engagieren über ihr eigenes Leben und ihre Famillie hinaus.

Eine Willensnation wird zusammengehalten von Menschen, die die Integration nicht den Profis und dem Staat überlassen.
Rita Famos, EKS-Ratspräsidentin

Weiter bezeichnete Famos die Schweizerinnen und Schweizer als Solidaritätskünstler und Integrationskünstlerinnen. Beispiele sind für sie etwa Mittagstische oder die Deutschkurse für Asylsuchende, Tandemprojekte als Coach für Menschen auf Stellensuche, Mitgliedschaften bei Rotary oder Engagements beim Sommerfest des lokalen Heims für Menschen mit Beeinträchtigungen.

Als Bernerin, die seit 33 Jahren im Kanton Zürich lebe, sage sie: Wer «Bärner Gringe» integrieren konnte, müsse vor der Zukunft keine Angst haben. «Eine Willensnation wird zusammengehalten von Menschen, die die Integration nicht den Profis und dem Staat überlassen.»

Nicht die Schnellsten, aber die Nachhaltigsten

Ihre Freunde im Ausland würden zudem staunen, wenn sie die direkte Demokratie erkläre, hielt die EKS-Ratspräsidentin weiter fest. Dies verlange von uns Bürgerinnen und Bürgern viel Eigeninitiative, Engagement und Bereitschaft, sich in die Themen einzulesen, zu diskutieren, zu streiten, sich über alles eine eigene Meinung zu bilden. «Direkte Demokratie bedeutet viel Arbeit und Engagement für uns alle», folgerte sie. Und: «Wir sind durch unsere direkte Demokratie nicht immer die Schnellsten, aber die Nachhaltigsten.»

Dass in Sissach dieses Jahr 800 Jahre Gemeinde und 500 Jahre Kirche Sissach gefeiert werde, sieht Famos auch als eine «Frucht des Zusammenwirkens von Kirche und Staat». Zwar müsse niemand hier den christlichen Glauben annehmen. «Aber man kann unser Land nicht verstehen und lesen, wenn man seine christlichen Wurzeln nicht kennt.»

Wir sitzen in unseren Dörfern und Städten zusammen bei Wurst und Bier und besinnen uns darauf, was uns stark gemacht hat und wie wir uns weiterhin für dieses Land und unsere Gesellschaft einsetzen können.
Rita Famos, EKS-Ratspräsidentin

Christlicher Glaube heisst nach Ansicht von Rita Famos Nächstenliebe, Verantwortung fürs Gesamte der Gesellschaft, Partizipation. Und Freiheit sei auch ein zentraler Begriff der Reformation. So folgert die Theologin: «Die Reformation hat unsere basisdemokratische Schweiz mitgeprägt.» Christliche Werte seien zu universalen geworden: «Nächstenliebe, Verantwortung, Freiheit und Hoffnung werden zwar genährt von christlichem Glauben und christlicher Spiritualität. Aber sie sind auch ohne Glaube lebbar und tradierbar.»

Und deshalb würden wir unseren Nationalfeiertag nicht in einem Machtzentrum mit einer grossen Militärparade und Machtdemonstration feiern, schloss Famos. Sondern: «Wir sitzen in unseren Dörfern und Städten zusammen bei Wurst und Bier und besinnen uns darauf, was uns stark gemacht hat und wie wir uns weiterhin für dieses Land und unsere Gesellschaft einsetzen können.»