Eintauchen in die Welt des Buches, das 60 Bücher umfasst

Spirituelle Wege

Ein Bibel-Lehrpfad – kann das funktionieren? Lassen sich 1500 Buchseiten kurz und knapp auf Infotafeln übertragen? Ein anregender Spaziergang im Berner Mittelland.

Eigentlich sind Themenwege nicht so mein Ding. Von Posten zu Posten zu marschieren, allenfalls noch mit einer Broschüre in der Hand, um gefühlt alle fünf Minuten irgendwo in freier Natur bei einer Infotafel innezuhalten, einen halben Roman zu lesen, Diagramme zu studieren und jedes Mal mindestens zehn Leseminuten aufzuwerfen, behagt mir nicht. Wenn mich ein Thema interessiert, lese ich lieber ein Buch zu Hause.

Deshalb meide ich Themenwege. Die Strecke selber mag noch so lohnend sein – einfach ignorieren lassen sich die prominent am Wegrand platzierten Tafeln ja nicht. Und was, wenn ich einfach an ihnen vorbeigehe? Nicht optimal. Das Gefühl, die angebotenen Informationen schnöde zu missachten, flösst mir jeweils schon fast ein Gefühl von Pflichtverletzung ein.

Zweifelhafter Start

Aber versuchen könnte ich es ja immerhin wieder einmal. «Bibelweg» – das klingt verlockend, denn an der Bibel und ihren lebhaften, spannenden, spirituellen und kulturprägenden Geschichten bin ich seit jeher interessiert. Zudem ist mir der Bibelweg von Leuten, die ihn bereits begangen haben, nachdrücklich empfohlen worden.

Es ist ein schöner Frühherbsttag – mild scheint die Sonne, die schräg einfallenden Strahlen modellieren die weite Landschaft vor dem Zugfenster. Die Obstbäume bei den Bauernhäusern tragen rote und gelbe Frucht, und am einen und anderen Ahorn beginnt sich bereits das Laub zu verfärben.

Serie: Wanderwege mit spirituellem Bonus

Der Herbst lädt ein mit Farbenpracht und angenehmen Temperaturen: Zu Fuss die Welt auch nahe der Haustür zu entdecken. Die Berner Redaktion von «reformiert.» hat als Inspiration ein paar Vorschläge rekognosziert, die nicht nur frische Luft und Aussichten bieten, sondern zudem Erkenntnisse zu Religion, Glauben und Spiritualität.

Der Zug hält an der Station Gerlafingen, wo der Bibelweg beginnt. Hier, am Bahnhofschalter, lasse sich eine Begleitbroschüre kaufen, habe ich im Internet gelesen. Also gut, wenn ich schon mal hier bin; dann erstehe ich mir doch ein Exemplar. Aber der Schalter existiert nicht mehr, und der Mann vom Kiosk gleich daneben kann nicht aushelfen, er führe die Broschüre leider nicht.

Hmm – das ist schon mal ein zweifelhafter Start. Mal sehen, wie es weitergeht. Beim Bahnhof, in der Nähe der offiziellen gelben Wanderwegweiser, lenkt ein separater Wegweiser den Wanderer in Richtung Bibelweg, immerhin. Für Beschilderung ist also gesorgt. Und auch für eine sehr schöne Stecke, wie sich nach und nach herausstellt.

Fast tropische Vegetation

Zuerst geht es über ein altes Fabrikareal, dessen zum Teil verfallende Umgebung von Pionierpflanzen in mustergültiger Biodiversität bewachsen ist. Dann hinein in den Auenwaldgürtel entlang eines Industriekanals und der Emme, wo die Vegetation dicht und üppig spriesst und fast ein wenig das Ambiente von tropischem Regenwald verbreitet. Ein grosser, schilfbestandener Weiher verstärkt diesen Eindruck noch, ebenso die Farbe das Kanalwassers, das in einem tiefen Flaschengrün schimmert. Erste dürre Blätter am Boden entfalten in der Sonnenwärme ein herbstliches Aroma, und auf der Emme, die nun ins Blickfeld gerät, tanzen silberne Lichtfunken. Ein herrlicher und entspannender Bummel, der höchstens durch die ständig überholenden oder entgegenkommenden Fahrräder auf dem schmalen Weg – denn die Strecke ist offensichtlich auch bei Velofahrerinnen und -fahrern beliebt – ein bisschen turbulenter ist als erwünscht.

Und die Bibelkunde? Diese ist erhältlich in – natürlich, in Form von Infotafeln. Die ich tatsächlich lese, weil sie wohltuend knapp verfasst und prägnant illustriert sind. Es handelt sich um eine Zeitreise rückwärts von der Gegenwart bis ins Jahr 2000 vor Christus, als Gott einen Bund mit dem Erzvater Abraham und dessen Sippe schloss. Die Leserschaft gewinnt in allgemein verständlichen Portionen einen interessanten Überblick über das Buch der Bücher und die Eckpunkte des Judentums und des Christentums.

Christliche Klöster in China

Wussten Sie, dass die Freiheitsbewegung der DDR in den 1980er-Jahren das Bibelzitat «Schwerter zu Pflugscharen» zum Slogan hatte? Dass im Jahr 781 in China erste christliche Klöster errichtet wurden? Dass die Bibel eine Sammlung von über 60 Büchern ist, die in einem Zeitraum von mehr als 1000 Jahren verfasst wurden? Dass es den Urchristen erst nach und nach bewusst wurde, dass ihre neue, aus dem Judentum entstandene Religion auch für Nichtjuden interessant sein könnte? Dass Jesus vermutlich sechs Jahre vor seinem offiziellen Geburtsjahr zur Welt kam? Dass unter dem syrischen Herrscher Antiochus im Tempel von Jerusalem griechische Kulte gefeiert wurden und der Aufstand der Makkabäer verhinderte, dass das Judentum unterging?

Der Bibelweg Gerlafingen

Der Start erfolgt beim Bahnhof Gerlafingen. Die vier Kilometer lange Strecke endet in Utzenstorf, wo es wiederum Bahnanschluss nach Solothurn und Burgdorf gibt. Der Weg führt über einen ebenen, gut unterhaltenen Waldweg, schweres Schuhwerk ist nicht nötig. Beim Naturweiher kann ein erhöhter Aussichtspavillon bestiegen werden.

Website des Bibelwegs

Dies und vieles mehr erfährt, wer sich die Mühe nimmt und die Texte auf den – leider zum Teil etwas verblassenden – Tafeln liest. Und wetten, dass die Lektüre Lust macht auf mehr? Zum Beispiel, zu Hause nach der alten Konfirmationsbibel zu greifen und wieder mal in diesem Buch zu schmökern?

Genau dies ist die Absicht der Evangelisch-methodistischen Kirche Gerlafingen, die den Weg initiiert und mit viel Gespür für knappe Information und theologisch präzise Aussagen umgesetzt hat. «Der Bibelweg endet mit dieser Tafel», heisst es unter den Erläuterungen zum Erzvater Abraham. «Die Verantwortlichen wünschen allen Besuchern, dass diese Informationen ihnen einen Zugang zur Bibel öffnen möge. Danke für den Besuch.»

Ausklang beim Wasserschloss

Definitiv zu Ende ist der Spaziergang beim idyllischen Schloss Landshut nahe des Bahnhofs Utzenstorf. Das letzte noch erhaltene Wasserschloss im Kanton Bern ist von einem ringförmigen Teich und einem Park mit stattlichen Bäumen und lauschigen Strauchgruppen umgeben. Ein Besuch des Parks lohnt sich allemal, auch das Schloss hat in der warmen Jahreszeit mit seinem Jagdmuseum einiges zu bieten. Und ich – ich bin nach der anregenden Bibelstrecke entlang der Emme gerne bereit, mein negatives Urteil über Themenwege zu revidieren.