Knapp drei Jahrzehnte lehrte Alois Haas an der Universität Zürich. Und bis ins letzte Semester war in seinen Vorlesungen zu spüren, was ihn neben seinem Fachwissen ausmachte: Er war ein begeisternder Lehrer und blieb ein begeisterter Schüler der Mystiker. Bei Haas fanden spirituelle Leidenschaft und wissenschaftliche Neugier zusammen. 1999 wurde der Professor emeritiert.
Aufgewachsen war der 1934 geborene Haas im Zürcher Niederdorf. Seine Eltern führten eine kleine Bäckerei, er und seine drei Geschwister wurden oft hinaus ins pulsierende Altstadtleben geschickt, damit sie die Eltern bei der Arbeit nicht störten.
Die raue Freiheit der Kindheit endete abrupt, als der Lausbub von den Eltern nach Engelberg ins Klosterinternat gesteckt wurde. In der klösterlichen Strenge errang Haas die ganz grosse Freiheit, die sein Leben prägen sollte: das Lesen. Jetzt war er an der Quelle. Sein Deutschlehrer brachte die Originaltexte der deutschen Mystik aus dem Klosterarchiv in den Unterricht.
Die radikale Denkschule
Nach dem Studium in Zürich, Berlin, Paris und München übernahm Haas 1969 eine Professur in Montreal. In Kanada lag sein Herzensthema, das im reformierten Zürich noch wenig interessierte, im Trend. Allerdings war der Blick auf die Mystik dort geprägt durch die östliche Spiritualität der Hippies und oft vernebelt durch den Drogenkult.
Gegen das Klischee der weltabgewandten Innerlichkeit verteidigte Haas die mittelalterliche Mystik 2011 im Interview mit «reformiert.» mit einer Anekdote. Mystikerinnen und Mystiker hätten ihre Andacht selbst im Moment der Verzückung unterbrochen, wenn ein Bedürftiger vor der Tür gestanden sei: «Jetzt musst du eine Suppe kochen, sonst ist dein Heil beschmutzt.» Die Untrennbarkeit des entrückten Vor-Gott-Stehens und der diakonischen Nachfolge war für Haas zentral.
Die jüdische, christliche und islamische Mystik seien Denkschulen, deren «Radikalität so konsequent und durchdringend wirksam war wie das Konzept der Aufklärung». Nur eben ohne jede Religionsfeindlichkeit. Einen «schärferen Demaskierer aller menschlichen Verflechtungen» als den grossen Mystiker Meister Eckhart gebe es nicht.
Unbegreifliches begreifen
Die Mystik faszinierte Haas, weil sie den Gegensatz von Gefühl und Verstand auflösen, «das Unbegreifbare begreifbar machen» wollte in einem flüchtigen Moment der Erkenntnis. Freilich schliesst dies den Zustand des absoluten Nichtbegreifens nicht aus. Wer Haas in seinen Vorlesungen zuhörte, befand sich meistens irgendwo dazwischen.
Am 12. Januar ist Alois Haas in Zürich gestorben.