Engel und Musik sind so eng miteinander verwoben, dass es kaum erstaunt, dass die Kunst von musizierenden Engeln reich bevölkert ist: Müller verweist als Beispiele auf Caravaggio, Fra Angelico, Matthias Grünewald und andere, dazu auf eine muslimische Miniatur aus osmanischer Zeit.
Natürlich schlug sich die himmlische Engelsmusik auch in der irdischen Musik nieder. Bereits in mittelalterlichen liturgischen Hymnen wie dem Gloria, Sanctus oder Te Deum ist das Motiv des Engelsgesangs relevant, auch Komponisten der Neuzeit wie Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel, Anton Bruckner, Karlheinz Stockhausen und viele andere haben Musik mit Engelsbezug komponiert.
Satan und der Metal-Sound
In einem Exkurs blickt Wolfgang W. Müller auch auf den gefallenen Engel, also den Teufel. Auch ihm wird Musik zugeschrieben: Er ist Herr der Klänge, die sinnlich bezirzen, zum Bösen verführen. Hier ortet der Autor einen Überlieferungsstrang von den mittelalterlichen Spielleuten bis hin zu heutigen Metal-Bands, von denen manche zu Teil versteckt, zum Teil offen mit dem Satanischen kokettieren.
Warum singen Engel? Dieser initialen Frage widmet sich das letzte Buchkapitel noch einmal. Weil, so der Autor, deren wichtigste Aufgabe nebst dem Botendienst das Darbringen des Gotteslobs ist. Eines Lobs, das die Menschen aufnehmen können – und das es ihnen ermöglicht, in Kombination von Wort und Klang «rituell wie performativ an die Grenze unserer räumlich-zeitlichen Wahrnehmung zu gehen». Oder, in anderen Worten: «Die Engelsmusik erlaubt einen niederschwelligen Zugang zu Fragen der Religion und des Glaubens.»
Wer sich für die kulturgeschichtliche und theologische Bedeutung der musizierenden Engel interessiert, findet in Müllers Buch profunde Erörterungen, die den Blick interreligiös weiten. Das Werk richtet sich gleichermassen an Fachleute wie ein interessiertes Allgemeinpublikum. Gerade mit Blick auf die Laien wäre es aber vielleicht hilfreich gewesen, den akademischen Duktus zugunsten einer etwas «populäreren» Sprache und Gedankenführung einzuhegen. Informationsfülle, klare Gliederung, überschaubare Kapitellänge, Bild- und Notenbeispiele sowie überraschende Einsichten in ein spannendes Thema machen dieses allfällige kleine Manko aber mehr als wett.
Wolfgang W. Müller: Musik der Engel; eine Kulturgeschichte. Schwabe Verlag, 2024