Eine Arche der Kunst legt im Kirchenschiff an

Kunst

Seit Anfang Februar wird die «Arche 2.0» in der Zürcher Wasserkirche bespielt. Das Kunstobjekt mit Bühne und Tribüne soll zu einem Forum für zukunftsweisende Ideen werden. 

Ein Schiff ist im Schiff ist im Schiff. Und es wird nicht erst kommen, wie es im Schlager und Seemannslied heisst, es ist schon da. Gelandet ist es am 30. Januar mitten in Zürich. 

Aber was hat es mit dem Dreifachschiff auf sich? Zuerst einmal steht die Wasserkirche auf einer Insel in Schiffsform, die seit Urzeiten in der Limmat schwimmt; zweitens ist die Wasserkirche architektonisch ein gotisches Kirchenschiff, ihre Bögen sind einem umgedrehten Rumpf eines Schiffs nachempfunden; schliesslich beherbergt dieser Kirchenraum nun im Innern ein Schiff aus Holz, saubere Zimmermannsarbeit aus acht Tonnen Fichtenholz. 

Beim Boot handelt es sich um eine Arche. Sie ist 15 Meter lang, 11 Meter breit und knapp 6 Meter hoch. Nicht ganz so gross wie Noahs Original: Dieses soll laut Genesis 150 mal 25 mal 15 Meter gemessen haben. Ein Riesenkasten. Und daher stammt denn auch der Name: «arca» ist Lateinisch für Kasten, und der Architekt dieses Urkastens war genau genommen Gott, denn er gab Noah den Auftrag zum Bau. 

An der Vernissage taufte Stadtpräsidentin Corine Mauch das Schiff, Herzbaracke-Gründer Federico Emanuel Pfaffen erzählt, wie er auf die Idee der Arche 2.0 kam und Szenograf Simenon Meier sagt, warum von der Decke ein Krokodil hängt:

Die Wasserkirche-Arche steht gewissermassen verkehrt herum im Kirchenschiff. Der Bug zeigt zum Ausgang, limmatabwärts, weist also nach vorn, in die Zukunft, als wolle er fragen: Wohin werden wir fahren, was gilt es mitzunehmen und zu retten? Grossmünsterpfarrer Martin Rüsch sieht in ihr «eine Metapher für das 21. Jahrhundert». 

Ein Gefährt in die Zukunft

Sie soll aber nicht in erster Linie ans Sintflutartige unserer Zeit erinnern, an Überflutungen, Klima- und andere Katastrophen oder gar den Untergang der Kirchen. Ganz im Gegenteil: «Sie steht für Aufbruch, Wagnis und Neuanfang, ist ein Bild der Hoffnung, ein Setzen auf das noch Unsichtbare.» Rüsch weist auch auf das Spannungsfeld dieser Installation hin: Das Kirchenschiff selber stehe für die Statik, das Gebaute fürs Volk, während die Arche das Bewegliche verkörpere. «Auch ist die Arche ein Mittel zum Übersetzen, hin zu Neuland; und wir feiern in diesem Jahr ja auch 500 Jahre Bibelübersetzung.» 

Die «Arche 2.0» ist aber nicht nur Kunstobjekt mit Symbolgehalt, sondern auch Begegnungsort, Bühne und Podium für diverse Veranstaltungen bis Ende Oktober. Und eben auch eine Version 2.0 will sie  sein; neu und interaktiv und kollaborativ. Im Vorfeld bewarb das Wasserkirche-Team auf Instagram witzig das Anlanden der Arche: Den Stadtplan studierende Spielzeugtiere machten sich auf zum rettenden Schiff. 

Anfang Februar haben dort bereits Veranstaltungen stattgefunden. Eine szenische Lesung für Kinder mit dem Titel «An der Arche um acht», die spielerisch grosse Fragen stellt wie: Was ist Glaube? Gibt es Gott? Oder eine Diskussionsrunde rund ums Wasser mit dem Titel «Wer eine Arche baut, spinnt». Auf Kommendes darf man sich freuen: Das «Ministry for the Future» etwa, das die Klimakrise lösen will oder Literarisches rund um das 500-Jahr-Jubiläum der Prophezey, der von Zwingli gegründeten Priesterschule.

Harmonisch im Kirchenschiff

Dass es so weit kommen konnte, ist einem Viererteam zu verdanken, das das Projekt in eineinhalb Jahren Vorbereitung aus der Taufe hob. Der Ideen- und Impulsgeber war einer, der schon seit Jahren den Winter über mit seinem Schiff im Herzen von Zürich vor Anker geht: Herzbaracken-Betreiber und Theaterproduzent Federico Emanuel Pfaffen. Er stiess mit seiner «fantastischen Vision von einem Schiff im Kirchenschiff im Sturm der Gezeiten» bei Grossmünsterpfarrer Martin Rüsch und Wasserkirche-Kuratorin Klara Piza auf Gehör. 

Für die Umsetzung empfahl Pfaffen den Szenografen Simeon Meier, der einen beeindruckenden Bau realisiert hat, der sich harmonisch ins Kirchenschiff der Wasserkirche einfügt. Wer am Heck die Treppen der Tribüne erklimmt, steht auf Augenhöhe mit den berühmten Kirchenfenstern von Augusto Giacometti von 1942. Und wie bei Noahs Original gibt es in der Arche ein hölzernes Fenster, das sich von innen öffnen lässt. Es gibt den Blick auf den Taufstein der Wasserkirche frei, der laut Martin Rüsch bald auch wieder genutzt werden soll.

Die mythologische Arche steckt ja voller Symbolik: Sowohl die gotischen Bögen (englisch «arches») als auch die Arche selbst symbolisieren Verbindung, Übergang und verknüpfen das Irdische, Menschliche mit dem Göttlichen. Sie steht für die Errettung aus der Gottlosigkeit und gilt auch als Vorbild für die Taufe: aus dem Wasser zum Licht. In der neueren christlichen Lesart steht sie auch für Christus, den Retter der Menschheit. Der Kirchenvater Chrysostomos hatte um 360 n. Chr. die Symbolkraft wie folgt beschrieben: «Die Arche ist die Kirche, Noah ist Christus, die Taube der Heilige Geist und der Ölzweig die Güte Gottes.» 

Wie das Kroko in die Kirche kam

Wie das Kroko in die Kirche kam

Hoch über der hölzernen Arche schwebt kein Damoklesschwert oder eine Taube sondern ein grosses, grünes Kunststoffkrokodil. Ein Hinweis auf die Evolution, vielleicht, an unsere Reptilienhirne, die uns im allgemeinen Stresszustand in uns und um uns herum nur allzuoft in die uralten Überlebensmodi versetzen: Kampf, Flucht oder Erstarrung? 

Szenograf und Archenschöpfer Simeon Meier sagt: «Das Krokodil gehört dazu: Es ist eine Referenz an die Vergangenheit der Wasserkirche als naturhistorisches Museum.» Denn die Wasserkirche hat nach ihrem Bau nur rund 40 Jahre als Gotteshaus gedient, bis zur Reformation 1524/1525. «Und seit da ist sie ein städtisches Labor», sagt Martin Rüsch.

Dann war sie Verkaufs- und Lagerhalle für Tuchhändler, bevor sie im frühen 17. Jahrhundert zur Bibliothek wurde für das Bildungsbürgertum. Als solche war sie auch Kunst- und Wunderkammer und beherbergte eine Sammlung von allerlei seltsamen Naturalien wie ausgestopfte Vögel oder Elefantenstosszähne. Und auf einem Kupferstich von Johann Melchior Füssli von 1719 sieht man die noblen Herren in der Wasserkirche vor Büchergestellen wandeln und an Tischen debattieren – und zuoberst baumeln drei präparierte Exoten von der Decke: ein Zwergwal, ein Schwertfisch und ein Krokodil. 

Im März kehrt das naturhistorische Museum zurück zu seinen Wurzeln, stellt in der Wasserkirche Exponate aus und veranstaltet auf der Arche drei Gesprächsabende.

Das ganze aktuelle Veranstaltungs-Programm findet sich auf wasserkirche.ch

Für ein offenes Zürich

Die Arche repräsentiert in allen Religionen das weibliche Prinzip – und mit ihm die  Neugeburt – auch C.G. Jung sah in ihr das Symbol für den bergenden mütterlichen Schoss. Die Arche ist aber auch ein «Schiff von und für die Stadt», wie es in der Pressemitteilung heisst. Und so ist es auch folgerichtig, dass die oberste Zürcherin an der Vernissage als Taufpatin auftrat und das «Matronat» übernimmt: «Der Name Arche 2.0 ist ein starkes Symbol, das verschiedenste Assoziationen weckt», erklärte die Stadtpräsidentin Corine Mauch bei der Eröffnung. 

Die Arche 2.0 setze ein Zeichen: «für die Vielfalt, die uns ausmacht, für eine offene Stadt, die neugierig bleibt und sich immer wieder neu erfindet, für eine Stadt, die den Wert und die Kraft von Migration für die eigene Identität begreift».  Im Interview mit reformiert erläuterte Mauch: «Mich erinnert die Arche an die Migrationsströme und an all die gefährlichen Überfahrten mit Schiffen dabei» und «an den Lebensfluss und die Aufbrüche zu neuen Ufern, die Menschen aus der ganzen Welt gewagt haben, hier in Zürich gelandet sind und diese Stadt mitgeprägt haben.» Und die Arche stelle an uns alle die Frage: «Was heisst das: Wir sitzen alle im selben Boot?»

Welche Rolle spielt die Kirche?

Und die Kirche? «Die Kirche hat ja auch den Anspruch, den Menschen Zugehörigkeit in einem Glaubensschiff zu geben», sagt sie gegenüber reformiert. Und hier sei jetzt ein tolles Angebot entstanden, wo man zusammenkommen und über die unterschiedlichen Interpretationen rund um die Arche und unsere Zukunft reflektieren könne. Es ist das erste Schiff, das Corinne Mauch an der Vernissage tauft, bisher habe sie nur Züge getauft, sagt sie.

Vor 17 Millionen Jahren war Zürich tatsächlich vom Meer überflutet. Daran und an die Vernetzung mit der Welt erinnerte 2014 ein anderes Kunstobjekt: ein riesiger Hafenkran, der für einige Monate unweit der Wasserkirche an der Limmat stand. Und heftige Diskussionen auslöste. Und im August 2024 lag bei der Badi Utoquai ein gestrandeter Pottwal; eine Kunstinstallation, um auf die Klimaerwärmung aufmerksam zu machen. Nun hat die Stadt Zürich also auch das rettende Schiff dazu – und auf die Dialoge darum herum darf man gespannt sein. Vielleicht zeigt sich in ihnen der eine oder andere grüne Zweig.

Solo am Freitagmittag

Solo am Freitagmittag

Der Veranstaltungskalender für die Arche 2.0 hat bis Ende Oktober viel zu bieten. Etwa die Archegespräche rund um Zukunftsvisionen mit Inputs aus Wissenschaft und Kultur. Jeden Freitag gibt es um 12.30 Uhr ein musikalisches Solo. Im März komm das Naturhistorische Museum zu Besuch an die Stätte ihres Ursprungs. Ab April finden auch Tanzveranstaltungen und Theater statt. Gespannt sein darf man auch auf die theatralen Performances von Initiant Federico Emanuel Pfaffen rund um Gewalt und Unterdrückung Ende September Anfang Oktober mit dem Titel «Schrei».