Glaube 22. Juli 2024, von Mirjam Messerli

Wenn ein Bote den Alpsegen überbringt

Seelsorge

Glück in den Stall und den Alpsegen schicken die Pfarrer von Sigriswil mit den Alphirtenbriefen hoch hinauf in die Berge. Boten und Beschenkte erleben so bereichernde Begegnungen.

Peter Knecht schreitet zügig aus. Er ist schon früh am Morgen an seinem Wohnort in Merligen am Thunersee aufgebrochen und nun kurz vor seinem ersten Etappenziel, der Oberen Zettenalp auf 1529 Metern. 

Letzte Wolkenfetzen hängen am Sigriswilgrat, hinter dem die Sonne aufgegangen ist. Ein Hase hoppelt über das Schottersträsschen und verschwindet im Wald. 

«Welch schöne Stimmung!», sagt Peter Knecht. Im Rucksack trägt er wichtige Post. Knecht ist als Bote der Kirchgemeinde Sigriswil unterwegs und bringt den Älplerinnen und Älplern den Alphirtenbrief 2024 mit dem Alpsegen.

Hündin Laika ist die Erste, die Peter Knecht auf der Zettenalp empfängt. Laut bellend rennt sie dem «Pösteler» entgegen. Knecht klopft. «Ist jemand daheim?» 

Keine Antwort. Aber nun sind im Inneren Geräusche zu hören. «Ich weiss meistens nicht, wen ich auf meiner Verteilrunde antreffe», sagt Knecht. Ungewiss ist auch, wie die spontan Besuchten auf ihn reagieren.

Eine Überraschung für alle

Hier freuen sich Daniela und Patrick Bühler offensichtlich über die Überraschung. «Kommt alle rein, aber macht die Türe zu, damit der Käse nicht friert», ruft Daniela. In der Hütte ist es feuchtwarm. Sechs frische Laibe Berner Alpkäse AOP liegen zum Pressen bereit.

Peter Knecht fragt das Paar, ob er den Brief der Kirchgemeinde überreichen darf. Zuerst winken Daniela und Patrick ab: Sie seien ja heute nur Stellvertreter-Sennen, weil das eigentliche Älplerpaar Martina Stähli und Joël Reuteler an einer Diplomfeier sei. «Aber auch ihr sollt gute Wünsche bekommen», sagt Peter Knecht. Bevor das Paar den Brief liest, wird die Arbeit erledigt. Patrick fegt den Kessel, Daniela schlägt die Käselaibe in feuchte Tücher ein.

Eine Verbindung ins Tal

Pfarrer Martin Leuenberger hat die Idee mit den Briefen in die Kirchgemeinde mitgebracht, sein Amtskollege schlug vor, die Post von Freiwilligen vertragen zu lassen. «Wir im Tal möchten so mit unseren Älplerinnen und Älplern in Verbindung bleiben», sagt er. 2023 wurden die Briefe zum ersten Mal verteilt.

Ein «flottes Zeichen» sei dieses schriftliche «Glück in den Stall», findet Daniela Bühler, als sie den Brief gelesen hat. Geschrieben hat ihn die Kirchgemeinderätin Ruth Waber, selbst Älplerin. Sie schreibt darüber, wie wichtig das Vertrauen auf der Alp ist. Vertrauen ineinander, Vertrauen, dass man die harte Arbeit schafft, dass es den Tieren gut geht, Vertrauen in Gott. «Man merkt, dass sie weiss, wie das Leben auf der Alp ist», findet Patrick.

Weiter gehts durch taufeuchte Wiesen zur Unteren Zettenalp. «Mich erfüllt eine tiefe Dankbarkeit, dass ich so in den Bergen unterwegs sein kann», sagt Knecht.

Auch am zweiten Ort ist der Empfang herzlich. «Möchtet ihr gleich mitessen?», fragt Rebecca Fuss, die das Mittagessen auftischt. Die gelernte Köchin ist mit Braida Trapp und Sandra Fahrni auf der Alp. 38 Kühe, Muni Fäbu, Hahn Don Camillo und seine Hühner sowie Schweine sind in der Obhut der drei Frauen. 

Um 4.30 Uhr haben sie ihr Tagwerk begonnen, so gegen 19 Uhr gibt es Feierabend. «Die Müdigkeit ist das Schwierigste auf der Alp», sagt Käserin Braida. Und was ist das Schönste für sie? «Dass wir hier oben sein dürfen, in den Bergen.»

Den Gottesdienst besuchen die drei Frauen nicht regelmässig, und doch nehmen sie den Brief mit grosser Offenheit entgegen. «Ich glaube, hier oben muss man einfach Gottvertrauen haben», sagt Sandra Fahrni. Manchmal spreche sie auch ein stilles Gebet für sich, zum Beispiel, wenn sie die Sonne über dem Grat aufgehen sehe.