Und wieder ist es so weit: Landauf, landab klopft heute, am 6. Dezember, Sankt Nikolaus in dutzend-, ja hundertfacher Ausführung an die Haustüren, um die Kinder zu beschenken. Als ich ein kleiner Junge war, aufgewachsen in den 1960er-Jahren im damals flächendeckend reformierten Kanton Bern, waren am Nikolaustag keine rot gewandeten und weisspelzig verbrämten, an katholische Bischöfe erinnernden Gestalten unterwegs. Vielmehr schwarz oder braun war der derbe, wallende Kapuzenmantel des sonderbaren bärtigen Mannes, der an die Türen klopfte und mit polterndem Bass Einlass begehrte.
Natürlich führte der reformierte Nikolaus keinen vergoldeten Bischofsstab mit sich, sondern einen bäurischen Haselstecken und eine Stalllaterne, und das katholische «Sankt» im Namen war sprachlich dezent verschliffen zu «Sami». «Samichlaus»: Dieser angepasste Name durfte auch in reformierten Mündern bedenkenlos geführt werden.
Ein unwillkommener Gast
Meiner Vorfreude auf Weihnachten stand der Besuch dieses unheimlichen Gesellen immer wie eine hohe Mauer im Weg, und froh war ich, wenn er wieder gegangen war – im Gegensatz zu anderen Kindern, denen der Besuch angeblich Freude bereitete (was ich nicht wirklich glauben konnte).
Denn dieser dunkle, mit einem unnatürlich wattigen Bart umrauschte Kapuzenmann hatte es in sich: Zuerst las er mir aus einem dicken Buch die Leviten, dann musste ich ihm ein mühsam erlerntes Verslein oder auch zwei aufsagen, und dann – dann zog er, wenn ich Glück hatte, aus seinem grossen Jutesack ein kleineres Säcklein mit Nüssen, Mandarinen und Schokolade hervor und schenkte es mir mit einem tief gebrummten «Sä da, da hesch öppis».
Jederzeit musste ich damit rechnen, dass ich dazu auch eine Rute erhalten könnte zum Zeichen, dass ich im vergangenen Jahr nicht brav gewesen war. Die Rute – sie ähnelte verdächtig dem Kopfteil eines Strassenkehrer-Besens – erhielt ich freilich nur einmal, aber sie bereitete mir ein schlechtes Gewissen und vergällte mir die guten Gaben im Säcklein beträchtlich.
Böse Buben eingesackt
Andere Buben, hörte ich aus meinem erwachsenen Umfeld, hätten mit dem Samichlaus zuweilen noch mehr Pech. Die besonders unfolgsamen stecke der Chlaus nämlich ohne viel Federlesens in seinen Sack und nehme sie mit in seine Hütte, wo sie zur Strafe ein Jahr lang hart arbeiten müssten. Einem Nachbarjungen sei es beinahe so ergangen, wusste die Grossmutter zu berichten. Man habe ihn durch das ganze Quartier im Sack schreien hören. Der Chlaus habe sich dann aber gnädig gezeigt und den jungen Sünder noch einmal davonkommen lassen. Wie er es mit bösen Mädchen hielt, sagte man mir nicht, ich fragte aber auch nie danach.