Gesellschaft 13. Juni 2024, von Sandra Hohendahl-Tesch

Auf der Suche nach einem neuen Zuhause

Justiz

Im Team 72 lernen Menschen, die aus dem Vollzug entlassen wurden, sich im Alltag wieder zurechtzufinden. Weil das Haus in Oerlikon abgerissen wird, braucht der Verein eine Lösung.

Ein grosser Holztisch steht im hellen Raum, er strahlt Behaglichkeit aus. Die frischen Blumen in der Vase kontrastieren mit einer schwarzen Metallrose, die auf einem Regal stehend die Blicke auf sich zieht.  Das symbolträchtige Kunstwerk erinnert daran, dass hier Menschen vorübergehend zu Hause sind, die am Ende oder nach Verbüssung einer Freiheitsstrafe lernen müssen, sich neu in der Gesellschaft zurechtzufinden: oft ein dorniger Weg.

Den Alltag üben

Die Resozialisierung ist das Ziel von Team72, dessen Auftraggeber das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung Kanton Zürich (JuWe) ist. Seit 1975 ist der politisch und konfessionell neutrale Verein im Mehrfamilienhaus in Oerlikon untergebracht, zu dem auch der Aufenthaltsraum mit der Rose gehört. Doch schon bald wird die in die Jahre gekommene Liegenschaft im Besitz der Pensionskasse BVK abgerissen. Ein Neubau ist geplant.

«Bis spätestens März 2025 müssen wir ausgezogen sein», sagt Betriebsleiterin Barbara Huser. «Trotz intensiver Suche haben wir bisher keine Anschlusslösung gefunden.» Nun wagt der Verein den Schritt an die Öffentlichkeit. Normalerweise ist er damit eher zurückhaltend. «Die meisten Nachbarn wissen nicht einmal, dass es uns gibt.» Die vor dem Abbruch stehende Liegenschaft umfasst zehn Dreizimmerwohnungen, in denen je zwei Personen während maximal zwei Jahren zusammenleben. Geradezu ideal, um die Selbstständigkeit im Alltag zu üben. «Putzen, Einkaufen und Kochen gehören selbstverständlich dazu», sagt Huser. Ein solcher Glücksfall wie der Block, den das Team jetzt nutzt, werde sich wohl nicht mehr ergeben. 

Allerdings besteht Hoffnung, ein neues Glück zu finden. Derzeit finden unter anderem Gespräche statt, ob das Team72 in einer Immobilie der reformierten Kirche unterkommen könnte. «Jüngst durften wir ein Pfarrhaus besichtigen», erzählt Barbara Huser. In den kommenden Wochen wird sich entscheiden, ob es als neues Domizil infrage kommt.

Seit der Gründung 1972 wird der Verein von der reformierten Kirche finanziell und ideell unterstützt. Im Vorstand sitzt der reformierte Gefängnisseelsorger und Leiter der Streetchurch Markus Giger. «Die Gesellschaft hat ein klares Interesse daran, dass die Resozialisierung gelingt», betont er, zumal der Übergang von der Gefangenschaft in die Freiheit besonders sensibel sei. «Wenn plötzlich alle Strukturen wegfallen, sind viele Strafentlassene überfordert und Rückfälle leider nicht unwahrscheinlich», sagt Giger.

Arbeit hat Priorität

An der Suche nach einer neuen Bleibe beteiligt sich auch das JuWe. Man schätze die Zusammenarbeit mit dem Team72 sehr, da dieses hochprofessionalisiert sei und auch anspruchsvolle Fälle übernehme. Daniel Treuthardt, Leiter der Bewährungs- und Vollzugsdienste Zürich, betont jedoch auf Anfrage, dass es nicht die Aufgabe des Kantons sei, dem privaten Arbeitspartner eine Immobilie bereitzustellen.

So hoffen Huser und Giger auf weitere Hinweise aus dem kirchlichen Umfeld. Ein Pfarrhaus würde für die bis zu 20 Bewohnerinnen und Bewohner nicht reichen. In Zukunft seien mehrere Objekte nötig, um die gleiche Anzahl Plätze anbieten zu können, sagt Huser. Wichtig mit Blick auf den Standort sei insbesondere eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr, idealerweise ist er in Zürich. Denn die Bewohnerinnen und Bewohner verlassen morgens früh das Haus, um einer Arbeit nachzugehen, auf dem Bau oder im Gastgewerbe, was von Kameras überwacht wird.

Integration in den Arbeitsmarkt hat Priorität: Arbeitslose Strafentlassene werden laut Statistik zu 80 bis 90 Prozent rückfällig. Können sie einer Erwebsarbeit nachgehen, liegt die Rückfallquote bei 33 Prozent. Hat eine Person keine Stelle, arbeitet sie halbtags in der hauseignen Werkstatt, wo unter fachkundiger Leitung Möbel und Gegenstände aus Holz angefertigt werden.

Mit Vorurteilen aufräumen

Für Sorgen, die in den Quartieren aufkommen könnten, zeigt Barbara Huser Verständnis. «Anders als andere vulnerable Gruppen wie etwa Asylsuchende haben Straftäter  und Straftäterinnen wenig Rückhalt in der Bevölkerung, weil sie in der öffentlichen Wahrnehmung an ihrer Lage selber schuld sind.» Wichtig sei die Aufklärung. In den letzten 50 Jahren habe es noch nie einen ernsten Zwischenfall gegeben.  Das bekräftigt auch Giger. In den Medien sei stets nur von den negativen Fällen die Rede. Für den Theologen ist eine engmaschige Betreuung «matchentscheidend» für eine gelungene Resozialisierung.  Das Angebot, das neben Wohnen auch eine Beratungsstelle für Straffällige und deren Angehörige enthält, müsse beihalten bleiben und ausgebaut werden. Dafür braucht es eine gute, nicht minder behagliche Unterkunft.