Glaube 04. September 2024, von Mirjam Messerli

Im Tanz lässt sich das Göttliche erfahren

Tanz

Ein Bibeltext wird in Bewegung verwandelt: «Bibel getanzt» nennt sich das  Angebot im Stadtkloster Bern. Diese Art des Tanzes habe ihr Leben verändert, sagt Leiterin Edith Nüssli.

Wie tanzt man die Bibel? «Am besten probieren Sie es aus», sagt Edith Nüssli auf meine Frage. Wir treffen uns also in einem Raum des Stadtklosters Frieden in Bern, in dem die Tanzleiterin in Ausbildung ab Mitte September Abende unter dem Motto «Bibel getanzt» anbieten wird. 

Nachmachen und nicht überlegen, rät Edith Nüssli und zeigt die ersten Schritte vor: Sie verlagert ihr Gewicht vom linken auf den rechten Fuss und wiegt im Takt der Musik hin und her. «Und nun kreuzen wir das linke Bein über das rechte.» Schritt um Schritt kommt dazu, es folgen die Bewegungen der Arme. 

Alles im Fluss

In einer Gruppe würden wir die Choreografie im Kreis ausführen, ähnlich einem Volkstanz. Zu zweit stellen wir uns diesen Kreis vor, bewegen uns einmal in sein Zentrum und wieder aus ihm hinaus. Nach einer gewissen Zeit führt der Körper die Schritte aus, ohne dass der Kopf dabei nachdenken muss. Es fühlt sich an, als sei alles im Fluss. «Lebensfluss» heisst denn auch dieser Tanz, den Edith Nüssli ausgesucht hat. 

Übers Tanzen sind für mich längst bekannte biblische Weisheiten im Herzen erlebbar geworden.
Edith Nüssli

«Bibel getanzt» wurde von der Dominikanerin Monika Gessner entwickelt. Die Gymnastiklehrerin leitet zudem eine dreijährige berufsbegleitende Ausbildung im deutschen Speyer, die Edith Nüssli Ende 2025 abschliessen wird. Getanzt habe sie immer gern, berichtet sie. Die aus Frankreich stammenden Bal-Folk-Tänze, meditative Tänze und Tänze aus dem Mittelalter; hinzu kommt ihre Erfahrung beim Mitwirken in einer Trachtengruppe. 

Gott auf neue Art begegnen

Wie aber fanden Tanz und Glaube zueinander? «Seit meiner Jugendzeit bin ich als Christin unterwegs. Dabei ist mir die Verbindung von Glaube und Alltag besonders wichtig», erklärt sie. Im Dezember 2019 habe sie ein Tanzwochenende mit Schwester Monika Gessner besucht. «Übers Tanzen sind für mich längst bekannte biblische Weisheiten im Herzen erlebbar geworden», führt die studierte Agronomin aus. Das habe ihr Leben verändert. Diese Erfahrung möchte sie nun auch anderen ermöglichen. 

Zehn Tanzabende

Am 18. September findet der erste «Bibel getanzt»-Abend im Stadtkloster Frieden in Bern statt, neun weitere folgen. Sie können einzeln besucht werden. Es sind keine Vorkenntnisse nötig. Es wird eine Kollekte erhoben (Richtpreis 20 Franken).

www.stadtkloster-frieden.ch/#events

Tanz spielt in den meisten Religionen eine wichtige Rolle. Die Derwische in der islamischen Mystik haben ihre Drehtänze, und der Hindugott Shiva erschafft mit seinem Freudentanz das Universum. Und die Begleiterinnen des Dionysos, der altgriechischen Gottheit des Rausches und der Verwandlung, tanzten an den dionysischen Festumzügen frenetische Tänze. 

Tradition wiederbeleben 

Auch im Alten Testament wird getanzt: Miriam tut es nach dem Durchzug der Israeliten durch das Schilfmeer, David vor der Bundeslade, und die Weisheit tanzt in Gestalt einer Frau vor Gott zu Beginn der Schöpfung. Noch bis ins Mittelalter gehörten Tänze und Gebetsgebärden zum Christentum. «Bibel getanzt» greift diese Tradition auf. 

Ein Tanzabend dauert etwa anderthalb Stunden. «Ein Bibeltext und dazu passende Tänze sollen einen Raum schaffen, Gott zu begegnen und sich selber in der Gegenwart Gottes auf eine neue Art wahrzunehmen», beschreibt es Edith Nüssli. Die Mitte des Kreises, den die Tanzenden bilden, ist mit Tüchern, einer Kerze und der Bibel geschmückt. Die Choreografien der Tänze und die Musik sind vorgegeben – die 61-jährige Nüssli lernt sie während ihrer Ausbildung alle. Getanzt wird zu klassischer Musik, zu Taizé-Liedern, zu Meditationsmusik oder auch mal zu osteuropäischer Volksmusik. 

Es geht weder um Leistung noch um Perfektion.
Edith Nüssli

Erfahren im Tanz muss nicht sein, wer einen Abend besuchen möchte. «Es geht weder um Leistung noch um Perfektion», betont die Leiterin. 

Bequeme Kleidung, Schläppchen oder Tanzschuhe – mehr braucht es nicht. Gefragt ist Offenheit, sich auf das einzulassen, was Tänze und Texte in einem auslösen. 

«Zeitlose Freude» heisst einer der liebsten Tänze von Edith Nüssli. Hier spielen Gebärden eine wichtige Rolle: die Arme zum Himmel öffnen, die Hände vor dem Körper nach unten führen. «Mich beruhigt und beglückt das Tanzen», sagt sie. Und wünscht sich, dass auch die Teilnehmenden danach mit diesem Gefühl heimgehen.