Drei Jahrhunderte hatten die Römer die Anhänger des gekreuzigten Nazareners verfolgt. Doch im Jahr 325 kam die Wende. Kaiser Konstantin der Grosse berief 300 Bischöfe aus seinem Reich nach Nizäa in der heutigen Türkei. Vom 20. Mai bis zum 25. Juli versammelten sich die Geistlichen in der Sommerresidenz des römischen Kaisers. Konstantin verfolgte mit dem Konzil politische Ziele: Er wollte die Einheit im Reich und damit seine Macht stärken.
Das Kreuz auf dem Banner
Im Jahr 311 hatte Konstantin unter dem Banner des Kreuzes seinen Rivalen Maxentius an der Milvischen Brücke besiegt und wurde zum Alleinherrscher. Er erkannte die Kraft des jungen Christentums, doch innerkirchliche Streitigkeiten über die Göttlichkeit Jesu drohten das Reich zu destabilisieren. Die Anhänger des Priesters Arius, zu denen auch Konstantins Schwester gehörte, behaupteten, dass Jesus nicht wesensgleich mit Gott, sondern von ihm geschaffen sei.
Das erste ökumenische Konzil, das der Kaiser selbst moderierte, beendete den Streit mit dem Bekenntnis, dass Jesus dem Vater wesensgleich (gr. homoousios) sei. Die Arianer erklärte man zu Ketzern. Ausserdem legten die Bischöfe den Ostertermin fest. Künftig sollte das Fest der Auferstehung des Herrn unabhängig vom jüdischen Passahfest nach dem ersten Frühlingsmond gefeiert werden.
Das süsse Gift der Macht
«Die Erhebung zur Staatsreligion muss den damaligen Christen als Beweis für die siegreiche Durchsetzungskraft und damit für die Wahrheit der Christusbotschaft erschienen sein», sagt Reinhold Bernhardt, emeritierter Theologieprofessor aus Basel. Aus heutiger Sicht habe diese Erhebung die Botschaft eher korrumpiert. Macht sei ein süsses Gift. Das Christentum habe sich in den Dienst des Kaisers gestellt und sich dessen imperialen Interessen unterworfen. «Darunter litt die spirituelle Kraft.»
Bernhardt erlebte bei seinen Besuchen im Iran, wie die Verbindung von Religion – in diesem Fall des schiitischen Islam – mit der politischen Macht die Religion deformiert und die Säkularisierung der Gesellschaft fördert. Im westlichen Christentum habe es Jahrhunderte gedauert, die «Verbindung von Thron und Altar zu lösen». Im östlichen Christentum, etwa in Russland, bestehe sie nach der Zeit des Kommunismus wieder. Reinhold Bernhardt: «Wenn man eine Religion zerstören will, muss man sie zur Staatsreligion machen.»
Repräsentant Gottes
Das andere grosse Vermächtnis des Konzils ist das gemeinsame Glaubensbekenntnis, das die Wesensgleichheit Jesu mit Gott betont. Auch wenn dieses Bekenntnis weltweit gesprochen wird, fällt es vielen schwer, sich dies konkret vorzustellen. Bernhardt: «Jesus war so erfüllt von der Gegenwart Gottes, dass er sie gleichsam verkörperte.» Seine Jünger hätten dies unmittelbar erfahren. Paulus habe es auf den kurzen Satz gebracht: «Gott war in ihm.» (2. Kor 5, 19).
«Wir kennen dazu doch Analogien», erklärt Bernhardt. Wenn ein Mensch ganz von einem Ideal erfüllt sei, dann sage man, er oder sie verkörpere dieses Ideal. So habe man von Jesus gesagt: «Er war das fleischgewordene ‹Wort› Gottes.» Reinhold Bernhardt bezeichnete Jesus in seinem Buch zu diesem Thema den «Repräsentanten» Gottes. Er meint damit: «Er vergegenwärtigt Gott. In ihm – in seinem Reden und Handeln, aber auch in dem, was Gott an ihm getan hat – wird Gott gegenwärtig.»
Die Botschaft ist entscheidend
Am Konzil von Nizäa drückte die Kirche dies mit den Mitteln der damaligen Philosophie aus. Heute bräuchten wir andere Anschauungsformen, um das zu verdeutlichen, sagt Bernhardt. Entscheidend sei nicht das Ausdrucksmittel, sondern der Inhalt der Botschaft. Und die lautet: «In ihm hat sich Gott personifiziert.»