Dem Staat ein kritisches Gegenüber

Kirche

Geld, Glaube und Wächteramt: Ist das Verhältnis von Kirche und Staat in Zeiten wachsender Säkularisierung und interreligiöser Herausforderungen zukunftsfähig oder ein alter Zopf? 

Provokativ und gleichzeitig augenzwinkernd stellte Moderator Felix Reich zu Beginn die Frage, ob die Bezeichnung «Religionskontrolleurin» nicht treffender für Franziska Driessen-Reding wäre, die als Religionsdelegierte des Kantons Zürich arbeitet. Sie verstehe ihre Aufgabe nicht in der Kontrolle, sondern in der dialogischen Begleitung von Religionsgemeinschaften, konterte sie. Der Kanton greife bei Problemen unterstützend ein.

Das Podium zu Kirche und Staat fand anlässlich des 1700-jährigen Jubiläums des Konzils von Nizäa statt und lockte am 21. Januar über 100 Zuhörerinnen und Zuhörer in die Paulus-Akademie. Eröffnet wurde es mit einem Impulsreferat der Professorin für Systematische Theologie und Ökumene an der Universität Bern, Georgiana Huian. Sie fokussierte insbesondere auf die ikonografische Darstellung des Konzils. 

Kaiser Konstantin und das Konzil von Nizäa

Am 28. Oktober 312 steht Kaiser Konstantin I. mit seinem Heer an der Tiberbrücke im Norden Roms, wo ihn sein Mitkaiser und Widersacher Maxentius zur entscheidenden Schlacht erwartet. Was nun geschieht, verändert die Welt.  Eusebius, der Bischof von Cäsarea, beschreibt es in seiner Biografie des Konstantin so: Dem Kaiser sei am helllichten Tag ein Flammenkreuz erschienen, und eine Stimme habe zu ihm gesagt: «Unter diesem Zeichen sollst du siegen.» Konstantin, selbst kein Christ, sondern ein Anhänger des römischen Sonnengottes, tut, wie ihm geheissen. Und trägt mit seinen Truppen einen überwältigenden Sieg davon. 

Die christliche Geschichtsschreibung führte diesen überraschenden Erfolg auf ein Bündnis zwischen dem Kaiser und dem Christengott zurück, das als «konstantinische Wende» gilt: Vorgänger Diokletian (285–305) hatte die Christen noch brutal verfolgt, Kaiser Konstantin jedoch erhob das Christentum Schritt für Schritt zur römischen Staatsreligion. Und mit dem Edikt von Mailand erhielten die Christen im Jahr 313 Glaubensfreiheit zugesichert und bekamen das Bürgerrecht zugesprochen. Zudem wurde der Sonntag offizieller Feiertag und die Kreuzigung abgeschafft.  Der Kaiser zeigte sich als Gönner der Christen, der Klerus erhielt Privilegien. Machtmensch Konstantin tat all dies nicht aus Nächstenliebe, sondern weil er die Christen als wertvolle Stütze für ein geeintes Reich unter seiner Herrschaft sah. 

Den Grundstein zur Festigung seiner Macht legte das von ihm einberufene Konzil von Nizäa im Frühsommer vor 1700 Jahren. Konstantin war seit Herbst 324 alleiniger Herrscher, nun wollte er auch die Ost- und Westkirche einen. Mehr als 200 Bischöfe kamen, um einen grossen Glaubensstreit beizulegen.  In Gefahr war die religiöse Einheit des römischen Staates durch einen gewissen Arius: Er vertrat die Lehre, Gottvater sei Urgrund allen Seins, Jesus könne deshalb nicht sein Sohn sein. Dieser sogenannte Arianismus verbreitete sich in Windeseile im Reich. Arius erschien auf Geheiss von Konstantin auf dem Konzil in Nizäa und verteidigte dort seinen konsequenten Monotheismus: Jesus sei zwar das vornehmste aller Geschöpfe, aber selbst keine Gottheit.  Konstantin selbst soll die theologischen Diskussionen auf dem Konzil mit der Feststellung beendet haben, der Sohn sei «eines Wesens mit dem Vater». In der Folge unterzeichneten praktisch alle Bischöfe das nizänische Glaubensbekenntnis, das festhält: Jesus ist göttlich und Gott Vater, Gott Sohn und der Heilige Geist sind eins, das heisst drei Gestalten des einen Gottes (Trinität).  

337 soll Konstantin auf dem Totenbett einen Bischof herbeigerufen haben, um sich taufen zu lassen. Seine Hinwendung zum Christentum leitete einen Prozess ein, der sich bis ins Jahr 380 fortsetzen sollte.  Kaiser Theodosius erklärte das Christentum dann zur Pflichtreligion, zementierte das Trinitätsdogma von Nizäa, Andersdenkende verdammte er als Ketzer.

Der römische Kaiser Konstantin ebnete 325 den Weg für das Christentum als Staatsreligion. Daran knüpfte auch Reichs Frage an Harald Rein an, der von 2009 bis 2023 Bischof der Christkatholischen Kirche war. Die kleine Kirche ist in Zürich öffentlich-rechtlich anerkannt. «Bezahlt sie das Privileg mit einem Verlust an Unabhängigkeit?», fragte Reich. 

Die Freiheit des Glaubens

Die staatliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften sei «ein normaler Vorgang, um Konflikte zu schlichten und die Kultur zu bewahren», sagte Rein. Der Staat dürfe sich nicht in Fragen des Glaubens einmischen, sondern nur allgemeine Kriterien für die Anerkennung festlegen. Religionsfreiheit ist für Rein das oberste Gebot: «Der Staat kann nicht vorschreiben, wie ein religiöser Führer bestimmt wird.» 

Rein sieht die Anerkennung von Religionsgemeinschaften nicht nur historisch bedingt, vielmehr müsse sie weiterentwickelt und die Gleichbehandlung gewährleistet werden: «Das gilt auch für neue oder durch die Migration grösser werdende Gemeinschaften wie die muslimische.» 

Gelebte Ökumene

Die Veranstaltung in der Paulus-Akademie hat die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Zürich (AGCK) mitorganisiert. In der 1965 gegründeten Organisation sind 22 unterschiedliche Kirchen vertreten, drei Kirchen haben Gaststatus. Zuletzt wurde die Neuapostolische Kirche als Vollmitglied aufgenommen. Mit Ausnahme der römisch-katholischen Kirche sind alle Mitgliedskirchen auch im Ökumenischen Rat der Kirchen aktiv. Die AGCK versteht sich als Plattform für den ökumenischen Dialog und will die Einheit der Christen innerhalb der konfessionellen Vielfalt stärken. Dies geschieht durch Vernetzung und gemeinsam verantwortete Veranstaltungen und Feiern. Die Zürcher Sektion ist der gesamtschweizerischen AGCK angegliedert. 

Eine Anerkennung sei stets «politisch gewollt», sagte Esther Straub, Kirchenratspräsidentin der reformierten Landeskirche. Driessen-Reding ergänzte, die gesetzliche Grundlage für die Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften wie etwa der muslimischen sei zwar grundsätzlich vorhanden. «Aber der politische Wille fehlt zurzeit.»

Das politische Evangelium

Von Esther Straub wollte «reformiert.»-Redaktionsleiter Reich wissen, ob sich das prophetische Wächteramt, das sich die Reformierten im Kanton Zürich in ihre Kirchenordnung geschrieben haben, zuweilen in die Quere komme mit der staatlichen Anerkennung, die auch finanzielle Abhängigkeiten mit sich bringt. Straub betonte, dass die Kirche ihre Rolle als Wächterin und kritische Stimme behalten müsse. 

Sie verwies auf die Konzernverantwortungsinitiative, bei der sich die Kirche laut in die Debatte eingebracht habe, obwohl dies nicht überall gut angekommen sei. Franziska Driessen-Reding, die bis 2023 Präsidentin des Synodalrats der katholischen Kirche Zürich war, pflichtete Straub bei: «Das Evangelium war schon immer politisch.» Sie finde: «Die Kirche muss sich einmischen.»

Kein Auslaufmodell

Ein zentrales Thema des Abends waren auch die Staatsbeiträge, welche die Kirchen für ihre Leistungen, die sie für die gesamte Gesellschaft erbringen,  erhalten. Anfang Februar wird der Kantonsrat darüber entscheiden, ob und in welcher Höhe diese für die Jahre 2026 bis 2031 gewährt werden. Für Driessen-Reding sind die abgegoltenen Leistungen der Kirchen essenziell: «Ohne die Kirchen wäre es ganz schön schwierig, die Freiwilligen für wichtige gesellschaftliche Arbeiten zu finden.»

Durchaus selbstbewusst ergänzte Straub, dass die Reformierten nach wie vor eine der grössten Organisationen im Kanton seien. «Tatsächlich ist der Staat privilegiert, dass er von unseren Leistungen profitieren kann.» Sie verteidigte auch das Zürcher Modell der Seelsorge in Spitälern und anderen Institutionen, das von den Kirchen verantwortet werde und damit grosse Unabhängigkeit und Vertraulichkeit garantiere.

Einig war sich das Trio, dass auch in Zeiten der Säkularisierung und einer bunter werdenden Religionsgemeinschaft eine Kooperation zwischen Kirchen und Staat unerlässlich sei. «Gerade in einer Ära, in der die Zahl der Konfessionslosen wächst und zugleich religiös motivierte Gewalt eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung darstellt», wie Rein betonte. Interreligiöse Gremien seien wichtige Plattformen und «geschützte Räume» für Dialog und Zusammenarbeit.