Establishment mit Vorbildfunktion

Religion

Der Interreligiöse Runde Tisch im Kanton Zürich feiert sein 20-jähriges Bestehen. Sein Erfolg zeigt daran, dass selbst an der Geburtstagsfeier kritische Töne Platz haben.

Von Ermüdungserscheinungen berichtete Amira Hafner-Al Jabaji, die sie bei Protagonistinnen und Protagonisten feststellt, die sich für den interreligiösen Dialog einsetzen. Die Publizistin und Islamwissenschaftlerin spach in ihrer Rede an der Veranstaltung vom 1. Oktober in der Zürcher Paulus-Akademie, zu der der Interreligiöse Runde Tisch im Kanton Zürich ausgewählte Gäste eingeladen hatte, wohl auch ein bisschen von sich selbst. «Der Dialog ist anstrengend, er verlangt Lernfähigkeit, Nachsicht und Aufrichtigkeit.» Und von Politik und Gesellschaft werden Religionsgemeinschaften immer wieder mit den gleichen Vorurteilen konfrontiert.

Die Asymmetrie

Insbesondere die nicht anerkannten Religionsgemeinschaften hätten mit «tatsächlichen und empfundenen Asymmetrien» zu kämpfen. Von ihnen werde in der Kommunikation und Integration viel verlangt, gleichzeitig fehlen ihnen die Ressourcen, weil sie keine Staatsbeiträge erhalten und von ihren Mitgliedern keine Steuern einziehen können.

Dennoch sei der interreligiöse Dialog «hoch relevant», betonte Amira Hafner-Al Jabaji. «Die Frage ist, ob diese Relevanz auch in der gesamten Gesellschaft wahrgenommen wird.» Denn der Dialog ist von gesellschaftlichen Stimmungen und der konfliktbeladenen Weltlage abhängig und steht gerade deshalb zurzeit auf dem Prüfstand.  

Krisen bewältigen

Der Runde Tisch tagt seit dem Massaker der Hamas an der israelischen Zivilbevölkerung und dem Beginn des Gaza-Kriegs häufiger. Im November veröffentlichte er eine Stellungnahme, in der er «jede Form von offenem und verstecktem Antisemitismus verurteilt». Solche Krisenbewältigung sei eine wichtige Aufgabe des Gremiums, sagte die reformierte Zürcher Kirchenratspräsidentin Esther Straub. 

Darüber hinaus nannte sie Bildung und Aufklärung in religiösen Fragen sowie Aufbauarbeit als zentrale Anliegen. So geht die muslimische Seelsorge in Asylzentren auf eine Initiative am Runden Tisch zurück.  

Augenhöhe als Herausforderung

In einer Podiumsdiskussion unter der Leitung von SRF-Moderator Sandro Brotz bestätigte die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP) die Analyse von Hafner-Al Jabaji insofern, als tatsächlich eine Asymmetrie besteht. Allerdings sei sie politisch gewollt und historisch durchaus legitimiert.

Die für die Beziehungen des Staats zu den Religionsgemeinschaften verantwortliche Regierungsrätin lobte die Landeskirchen dafür, dass sie sich ihrer historisch gewachsenen Privilegien bewusst sind und grundsätzlich bereit sind, mit einem kleinen Teil der Staatsbeiträge, die sie erhalten, die nicht anerkannten Religionsgemeinschaften zu unterstützen. «Trotz der Unterschiede echte Augenhöhe zu gewährleisten, bleibt eine Herausforderung», räumte Fehr ein.

Wo es wirklich brennt

Auf die grosse Integrationsleistung, die Religionsgemeinschaften erbringen, verwies Rixhil Agusi (SP), die das Stadtparlament von Schlieren präsidiert. «Gotteshäuser sind friedliche Orte der Begegnung.» Eine Moschee sei immer auch ein Kulturzentrum. Allerdings spüre sie als Muslima oft einen Generalverdacht. «Ich bin in der Schweiz geboren und aufgewachsen, die Religion ist meine Lebenseinstellung, auch dafür möchte ich akzeptiert werden.»

Auch die Zürcher Kantonsrätin Sonja Rueff-Frenkel (FDP) sagte, sie erlebe das Gespräch unter den Religionsgemeinschaften im persönlichen Kontakt als sehr wertschätzend und bereichernd. «Ich muss als Jüdin mit Musliminnen wie Rixhil Agusi nicht über die Religion sprechen, lieber spreche ich mit ihr über die Werte, die für uns bestimmend sind und sich weitgehend decken.» 

Allerdings frage sie sich oft, was vom gut funktionierenden interreligiösen Dialog nach aussen dringe. «Am Runden Tisch brennt es nicht, es brennt in der Gesellschaft.» Deshalb seien Projekte wie Likrad so wichtig: dass jüdische Jugendliche Schulklassen besuchen und in der persönlichen Begegnung Vorurteile abbauen. 

Kein Religionsparlament

Jacqueline Fehr plädierte für ein Sowohl-als-auch: «Wenn sich im religiösen Establishment eine gute und belastbare Gesprächskultur etabliert, so hat dies Vorbildcharakter und wirkt in die Gesellschaft hinaus.» Sie lobte den Interreligiösen Runden Tisch für die «unglaubliche Leistung», in einer Krisensituation den religiösen Frieden im Kanton Zürich nicht nur bewahrt, sondern gestärkt zu haben.

Raphael Meyer betonte, dass der Runde Tisch durchaus um seine Positionierung ringe. «Wir sind kein Parlament der Religionen, wir brauchen für jede Stellungnahme Einstimmigkeit», sagte der Präsident des Synodalrats der Römisch-katholischen Kirche im Kanton Zürich, der das Gremium zurzeit präsidiert. 

Ehrliche Verbundenheit

Auch Kirchenratspräsidentin Esther Straub hatte in ihrer Rede betont, dass am Interreligiösen Runden Tisch zuweilen harte Diskussionen geführt würden. Doch werde immer respektvoll debattiert und auf dem Boden einer «ehrlichen Verbundenheit», die «den religiösen Frieden blühen, gedeihen und Früchte tragen» lasse.