Glaube 12. August 2024, von Felix Reich

«Die Synode hat weise entschieden»

Kirche

Die Zürcher Kirchenratspräsidentin Esther Straub spricht über ihre Antrittstour und sagt, warum die nicht anerkannten Religionsgemeinschaften finanzielle Unterstützung  benötigen.

Sie sind nun acht Monate Präsidentin des Kirchenrats. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Esther Straub: Dass ich auch einmal einen Tag in meiner Agenda blockieren muss. Viele Gemeinden treten auf mein Besuchsangebot ein, was mich sehr freut. Ich erlebe eine vitale, vielfältige Kirche.

Klingt das jetzt nicht viel zu schön, um wahr zu sein?

Der Mitgliederschwund ist eine Realität. Zur Wirklichkeit gehört aber auch, dass viele Gemeinden aktiv unterwegs sind. Sie gestalten mit Engagement das kirchliche Leben und sind ein wichtiger Ort für Familien und Jugendliche. Ohne Gemeinden keine Landeskirche.

Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine dauert an, dazu kommt der Gazakrieg nach dem Terroranschlag der Hamas. Inwiefern beeinflusst die Stimmung der Unsicherheit und Bedrohung Ihre Arbeit?

Sie hat unterschiedliche Auswirkungen auf ein Kirchenleitungsamt. Am präsentesten zeigt sie sich wohl im interreligiösen Dialog.

Ist der Dialog gefährdet?

Die Beziehungen unter den Religionsgemeinschaften sind in Zürich sehr stabil, der Austausch vertrauensvoll. Beeindruckt und auch ermutigt hat mich die von Juden und Muslimen organisierte Menschenkette auf dem Lindenhof nach der Attacke auf einen orthodoxen Juden. In welchem anderen Land wäre so etwas möglich? Der Angriff der Hamas und Israels Krieg in Gaza beschäftigen auch den Interreligiösen Runden Tisch im Kanton Zürich und bewogen ihn dazu, häufiger zu tagen und noch intensiver miteinander im Austausch zu sein. 

In einer Stellungnahme anerkennt das Gremium «die Prävention von religiös motiviertem Fanatismus als dringliche Aufgabe der Religionsgemeinschaften». Fühlen sich die Reformierten da mit gemeint?

Ja. Auch als Reformierte stehen wir in der Pflicht. Das beginnt bei der theologischen Reflexion. Wir müssen etwa selbstkritisch fragen, ob wir im kirchlichen Kontext antisemitische Stereotype transportieren oder ob wir bestimmte Menschen ausschliessen, statt auf sie zuzugehen. Religiöser Fanatismus beginnt nicht erst, wenn es zu kriminellen Handlungen kommt. Vielmehr beginnt er da, wo die eigene Position absolut gesetzt und dem Gegenüber die Berechtigung seines Glaubens abgesprochen wird. 

Der Kirchenrat wollte einen Teil der Staatsbeiträge, welche die Kirchen erhalten, an nicht anerkannte Religionsgemeinschaften weiter-geben. Die Synode wies die Vorlage zurück. War sie unausgegoren?

Mit der Zustimmung zum Tätigkeitsprogramm hat die Synode die Idee grundsätzlich gutgeheissen, gesamtgesellschaftliche Leistungen von nicht anerkannten Religionsgemeinschaften mit einer Million Franken pro Jahr vorübergehend zu unterstützen. Ihr fehlte aber eine Willenskundgebung von Regierungsrat und Kantonsrat, ob eine solche Verwendung auch erwünscht und legitim sei. Die Synode hat weise entschieden. Es ist jetzt am Kanton, Stellung zu beziehen.

Esther Straub (54)

Im November 2023 wurde Esther Straub als Kandidatin der Religiös-sozialen Fraktion zur Kirchenratspräsi­dentin der reformierten Kirche im Kanton Zürich gewählt. Zuvor war die promovierte Theologin acht Jahre Mitglied des Kirchenrats. Als Pfarrerin war sie 20 Jahre in Zürich-Schwamendingen tätig. Für die SP sass Straub neun Jahre im Gemeinderat und acht Jahre im Kantonsrat.

Hätte der Kirchenrat ebenso weise sein und die Vorlage gar nicht erst zur Abstimmung bringen sollen?

Nein, wir wollten das Projekt lancieren, um andere grössere Religionsgemeinschaften in ihren öffentlichen Tätigkeiten zu unterstützen, weil wir auf ihre Zusammenarbeit mit uns, zum Beispiel in der Spitalseelsorge, angewiesen sind. Der Kanton kennt nun den Willen der beiden Kirchen, voranzugehen. Er wird sich zum Projekt verhalten und mitreden, wer wofür Unterstützung erhalten soll.

Und wer hats erfunden?

Es ist ein gemeinsames Projekt, das aus der Zusammenarbeit der beiden grossen Kirchen mit dem Kanton entstanden ist.

Und ist ein Umgehungsgeschäft: Weil eine politische Mehrheit für die Anerkennung muslimischer Gemeinschaften fehlt, springen die Kirchen in die Bresche.

Nein. Es geht gar nicht um eine Anerkennung, sondern darum, nicht anerkannte Religionsgemeinschaften in ihrem Dienst an der Gesellschaft zu unterstützen und sie zugleich in die Pflicht zu nehmen. Für solche Projekte, die es ja auch bereits gibt und die einer Radikalisierung vorbeugen, ist eine politische Mehrheit möglich. Im Kanton Zürich unterhält der Staat zu den jeweiligen Religionsgemeinschaften massgeschneiderte Beziehungen. Das ist ein Erfolgsmodell, das weitergeführt werden soll. 

Bisher wurden vor allem orthodoxe und muslimische Gemeinschaften als mögliche Empfängerinnen genannt. Warum sollen nicht auch Freikirchen profitieren?

Der Kanton soll bei dieser Frage mitreden. Mit dem zeitlich befristeten Projekt ermöglichen wir wichtige Pilote. Bewähren sie sich, kann der Regierungsrat seinen Leitsatz umsetzen, den er vor sieben Jahren verabschiedet hat: Er möchte sein Verhältnis zu den nicht anerkannten Religionsgemeinschaften regeln.

Die Kirchen nicken einfach ab, was der Kanton entscheidet?

Nein, wir bieten dem Kanton Hand, seinen Leitsatz zügig umzusetzen. Als Kirche sind wir darauf angewiesen, mit grösser werdenden Gemeinschaften im öffentlichen Raum auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Das geht nur, wenn auch sie für ihre Tätigkeiten finanzielle Unterstützung erhalten.