Der Schlüssel für den sozialen Zusammenhalt

Zuwanderung

Die Migrationsdebatte polarisiert. Die Akteure werfen sich wechselseitig Stigmatisierung oder Verharmlosung vor. «reformiert.» fragt nach Wegen zu einem konstruktiven Dialog. 

Kaum ein Thema polarisiert in der Politik so stark wie die Zuwanderung. Insbesondere die Asyldebatte ist ideologisch aufgeladen. Sie kreist um den Gegensatz zwischen Kontrolle und humanitärer Verantwortung: Ängsten vor Missbrauch, sozialen Belastungen und Kriminalität stehen Forderungen nach Solidarität und der Einhaltung der Flüchtlingskonvention gegenüber. 

Zudem berührt die Debatte das Sicherheitsempfinden und oft auch die Identität, was Ängste weckt. Ein sachlicher Dialog ist kaum möglich. Während die eine Seite ganze Bevölkerungsgruppen stigmatisiert, so scheuen sich andere Kreise davor, Probleme klar zu benennen. 

Toleranz und Zwang 

Hinter der Polarisierung scheint vor allem ein Gefühl zu stehen: Angst. Mit der politischen Diskussion rund um Zuwanderung seit Jahrzehnten beschäftigt ist Gianni D’Amato, Professor für Migrations- und Staatsbürgerschaftsstudien an der Universität Neuenburg. Er stellt fest: «Der Angstdiskurs ist Teil öffentlicher Debatten: Die einen fürchten die Migration, andere den ökonomischen Niedergang, wieder andere den Klimawandel.» 

Der Angstdiskurs ist Teil öffentlicher Debatten: Die einen fürchten die Migration, andere den öko­nomischen Niedergang, wieder andere den Klima­wandel.
Gianni D’Amato, Professor für Migrations- und Staatsbürgerschaftsstudien an der Universität Neuenburg

Seit der Ausprägung von Nationalstaaten habe Migration stets einen polarisierenden Charakter gehabt: «Sie stellt die Frage nach der Zugehörigkeit, der Duldung von Veränderung, letztlich nach dem Mass von Toleranz und Zwang.» 

Wie ein konstruktiver Diskurs aussehen könnte, dafür hat D’Amato kein Patentrezept. «Um über Probleme zu reden, ohne diskriminierend und ausschliessend zu sein, müssen wir auch über uns selbst reden», sagt er. «Wir können bei Problemen nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen.» So kritisiert er die Einteilung in «wir» und «sie». Alle, die hier lebten, seien Teil der einen, gleichen Gesellschaft. «Doch davon sind wir meilenweit entfernt.» 

Langwieriger Prozess – aber möglich

Claudia Meier hingegen hat einen Ansatz. Dieser entfaltet seine Wirkung mitten in der Bevölkerung. Meier arbeitete in Konflikttransformationsprozessen in Afrika und ist Co-Leiterin von «Zwischentöne». Das Projekt, das von der Eidgenössischen Migrationskommission unterstützt wird, sammelt persönliche Geschichten zu gesellschaftlichen Krisen wie Migration, Klima oder Corona und macht sie über diverse Plattformen zugänglich. Ziel ist es, das gegenseitige Verständnis und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Mitten in den polarisierenden Stimmen eine konstruktive Diskussion zu Migration anzustossen, sei zwar ein langwieriger Prozess, sagt Meier. «Doch es gibt Wege.» 

Ein wichtiger Faktor für die Debatte ist laut Meier zudem, dass Migrantinnen und Migranten selber zu Wort kommen, statt dass nur über sie geredet wird. In die Pflicht nimmt sie in erster Linie die Medien. «Öffentliche Information muss sachlicher werden und Journalismus konfliktsensibler.» Eine differenzierende Berichterstattung ohne Skandalisierung helfe, Gräben zu überbrücken, statt sie zu vertiefen. 

Über Ukrainer wurde oft gesagt, sie seien unserer Kultur näher. Aber was sind Kriterien dafür: Hautfarbe? Geografische Nähe? Religion?
Andreas Nufer, Pfarrer und Theologischer Leiter Kloster Kappel

Auch der Theologe Andreas Nufer betont die Bedeutung der Kommunikation. Oft würden Begriffe unbedacht verwendet und zu Stigmatisierung oder falschen Bildern führen. Etwa der Ausdruck Kultur: «Über Ukrainer wurde oft gesagt, sie seien unserer Kultur näher», sagt Nufer. «Aber was sind Kriterien dafür: Hautfarbe? Geografische Nähe? Religion?» Mit vagen Begriffen werde die Debatte unscharf. 

Darüber hinaus fokussiert laut Nufer die Debatte einseitig auf die Probleme. Die positiven Geschichten müssten viel stärker eingebunden werden in den Diskurs. «Die grosse Mehrheit der Zugewanderten lebt integriert und unauffällig, nur wenige Einzelfälle erregen öffentliche Aufmerksamkeit.» Die gesellschaftliche Vielfalt betrachtet Nufer selbst als Bereicherung. 

Eine Auseinandersetzung, die sowohl den Schutz der Menschenrechte will als auch tragfähige Rahmenbedingungen für ein gelingendes Zusammenleben schafft, braucht ein Klima, das Offenheit, Dialog und gemeinsame Verantwortung gedeihen lässt und auf Empathie baut.

Im Kleinen viel bewirken 

Meier und Nufer betonen beide die Bedeutung des sozialen Nahraums: Es brauche Formen des Miteinanders im Schatten des Scheinwerfer­lichts: im Quartier, in Sportvereinen, in Bildungsinitiativen. «Und in den Kirchen», sagt Nufer. «Gerade im lokalen Wirken ist sie stark.» 

Nicht über Migration reden, sondern zuerst mit den Menschen in Kontakt treten führt zu einem anderen Umgang mit Differenz. Und hilft gegen die Angst: «Begegnungen bauen diffuse Ängste und gegenseitige Vorurteile ab, so wird dann auch ein ehrliches Gespräch zu schwierigen Themen möglich», sagt Claudia Meier.