Recherche 29. Oktober 2020, von Felix Reich

Welchem Komitee wäre Jesus beigetreten?

Politik

Pfarrerin Esther Straub unterstützt die Konzernverantwortungsinitiative. Pfarrer Ulrich Knoepfel lehnt sie ab. Eine theologische Begründung für ihre Haltung finden sie beide.

Wie würde Jesus abstimmen am 29. November?

Ulrich Knoepfel: Es ist gefährlich, Jesus für politische Zwecke einspannen zu wollen. Ich glaube aber, dass er Nein gestimmt hätte. Das Evangelium teilt die Welt nicht in Gut und Böse ein. Jesus suchte den Ausgleich, den Dialog statt die Konfrontation. Die Initiative tut genau das: Sie will den ganz grossen Clash und spielt mit Ressentiments gegen die Wirtschaft, sie ist ein Wutgesetz.

Esther Straub: Jesus und Jesaja, Paulus und Priska, alle hätten sie Ja gesagt. Sie setzten sich für die Schwachen ein, die für sich selbst keine Gerechtigkeit einfordern konnten. Die Initiative gibt den Menschen diese Möglichkeit und nimmt die Profiteure in die Verantwortung.

Organisationen erhalten ein neues Instrument für ihre Kampagnen, indem sie Firmen in medienwirksame Prozesse verwickeln können.
Ulrich Knoepfel

Müssen Schweizer Firmen Angst haben vor der Initiative?

Straub: Nein. Einige wenige Konzerne mit Sitz in der Schweiz müssen jedoch neu geradestehen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden, welche sie im Ausland verursachen und mit denen sie im wahrsten Sinn des Wortes die Swiss­ness beschmutzen.

Knoepfel: Die Initiative zieht sorgfältig arbeitende Unternehmen in eine uferlose Haftungsregelung hinein. Organisationen erhalten ein neues Instrument für ihre Kampagnen, indem sie Firmen in medienwirksame Prozesse verwickeln können. Konzerne müssen nachweisen, dass sie ihre Sorgfaltspflicht nicht verletzt haben. Damit wird die Beweislast umgekehrt. Das ist unfair.

Mit der Initiative müssen einige wenige Konzerne geradestehen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden, mit denen sie im wahrsten Sinn des Wortes die Swiss­ness beschmutzen.
Esther Straub

Straub: Falsch. Zuerst muss die geschädigte Person den kausalen Zusammenhang zwischen ihrem Schaden und dem Handeln der Firma beweisen. Der Konzern kann sich sogar mit einem Entlastungsnachweis aus der Haftung befreien.

Knoepfel: Wir reden hier vom Zivilrecht, und da geht es um das Risiko unabsehbarer Schadenersatzforderungen. Unternehmen werden sich im Zweifelsfall aus Risikoländern zurückziehen. Wenn dann die chinesischen Konzerne in die Lücke springen, ist den betroffenen Menschen sicher nicht geholfen.

Wie wäre ihnen geholfen?

Knoepfel: Statt in kolonialistischer Manier das Schweizer Recht auf der ganzen Welt anwenden zu wollen, sollten wir betroffene Staaten beim Aufbau ihres Rechtssystems unterstützen. Auch die Stärkung der Gewerkschaften unterstütze ich.

Ein solches Engagement schliesst die Initiative nicht aus.

Knoepfel: Aber sie setzt die falschen Prioritäten und ist rechtlich höchst fragwürdig. Wie will ein Gericht in Glarus entscheiden, was eine Firma bei einem Chemieunfall in Bangladesch oder einem Grubenunglück im Kongo falsch gemacht hat? Das sind komplexe Vorgänge, bei denen oft auch Korruption oder Bürgerkriegsparteien eine Rolle spielen.

Straub: Es geht nicht um Kolonialismus oder um Schweizer Recht, sondern um internationales Menschenrecht. Dass unsere Gerichte Wirtschaftsprozesse mit Auslandsbezug verhandeln, ist nicht neu. Korruption im Ausland ist bereits heute in der Schweiz einklagbar.

Reformierte, Katholiken und Freikirchen sind sich einig

Die Konzernverantwortungsinitiative will, dass Schweizer Unternehmen für Umweltschäden oder Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden können, die sie selbst, Tochterfirmen oder von ihnen vollständig ab­hängige Zulieferer verursachen. Der indirekte Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament sieht neue Pflichten zur Berichterstattung und Sorgfaltsprüfung vor. Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz, Bischofskonferenz und Evangelische Allianz unterstützen die Initiative. Das Hilfswerk Brot für alle gehört zu den Initianten.

Ist es Aufgabe kirchlicher Hilfswerke, Volksinitiativen zu lancieren?

Knoepfel: Nein.

Straub: Schon in den 1970er-Jahren wurde die Frage rechtlich geklärt, als Brot für alle die Waffenausfuhr auf die Agenda setzte. Hilfswerke sind natürlich dazu berechtigt. Sie haben eine Expertise vor Ort. Und es ist richtig, dass die Initiative die Unterstützung der Kirchen hat, haben sie doch den Anspruch, sich für die Menschenwürde und die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen.
 
Wäre es nicht klüger, auf Kampagnen zu setzen statt Juristen zu beschäftigen? Mit der Kritik an der Palmöl-Produktion erreichte die ökumenische Fastenkampagne viel.

Straub: Wann waren Sie zuletzt bei Syngenta, Holcim oder bei Glencore einkaufen? Die Initiative erfasst eben gerade Rohstoffkonzerne, deren Geschäftspraxis die Konsumentinnen und Konsumenten nicht beeinflussen können. Denner, Migros oder Coop hingegen befürworteten alle den griffigen Gegenvorschlag des Nationalrats, der dann leider im Ständerat knapp scheiterte.

Pfarrer sagten mir, dass sie sich selbst nicht getrauen, aber froh sind, dass ich mich exponiere.
Ueli Knoepfel

Knoepfel: Der neue indirekte Gegenvorschlag des Bundesrats ist gut. Er schreibt eine Berichterstattung vor, beinhaltet beim Verstoss gegen das Verbot von Kinderarbeit Haftungsfolgen. Die Schweiz darf ihre Firmen nicht benachteiligen mit den weltweit strengsten Regeln.

Straub: Griffige Massnahmen fehlen im indirekten Gegenvorschlag. Eine Konzernhaftung sieht er nicht einmal bei der Kinderarbeit vor. Mit der Initiative würde die Schweiz lediglich im Mittelfeld landen. Kanada, Frankreich, England oder die Niederlande kennen bereits jetzt ähnliche oder noch strengere Gesetze. Es gab zudem eine Zeit, da war die Schweiz stolz, Vorreiterin in humanitären Fragen zu sein.

Der Rat der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz unterstützt die Initiative. Als Ratsmitglied kämpfen Sie dagegen. Wie definieren Sie das Kollegialitätsprinzip?

Knoepfel: Kollegialität bedeutet für mich auch, dass man unterschiedliche Meinungen akzeptiert. Der Entscheid im Rat fiel äusserst knapp. Ich habe immer gesagt, dass ich mich in eigenem Namen weiterhin öffentlich zu Wort melden werde.

Wann waren Sie zuletzt bei Syngenta, Holcim oder bei Glencore einkaufen?
Esther Straub

Auf Podien streiten nun Kirchen­rätinnen und Pfarrer, Pfarrerinnen und EKS-Räte über die Initiative. Zeugt das von der lebendigen Vielfalt der Reformierten oder ist es ­eine verwirrende Kakofonie?

Straub: Dass sich ein EKS-Ratsmitglied gegen die Initiative engagiert, verletzt das Kollegialitätsprinzip, wie wir es im Zürcher Kirchenrat leben und wie es auch politische Exekutiven kennen. Das wirft ein schlechtes Licht auf die Kirche.

Knoepfel: Wir wagen in der Kirche viel zu wenig den sachlichen Streit. Zahlreiche Mitglieder sind dankbar, dass Kirchenleute den Mut haben, sich gegen die Initiative auszusprechen. Pfarrer sagten mir, dass sie sich selbst nicht getrauen, aber froh sind, dass ich mich exponiere.

Straub: Für Streiten bin ich immer. Doch Behörden sollten geschlossen auftreten.

Ulrich Knoepfel (63)

Ulrich Knoepfel (63)

Pfarrer Ulrich Knoepfel ist Kirchenratspräsident der reformierten Kirche des Kantons Glarus und Mitglied des Rats der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS). Im «Ethik-Komitee gegen die KVI», das den Initiativgegnern aus dem kirchlichen Umfeld eine Plattform bieten will, engagiert sich der Theologe und Jurist im Abstimmungskampf.

Esther Straub (50)

Esther Straub (50)

Pfarrerin Esther Straub ist Kirchenrätin der reformierten Kirche des Kantons Zürich und Mitglied der EKS-Synode. Auf der Plattform «Kirche für Konzerverantwortung», der Kirchgemeinden sowie Pfarrerinnen und Pfarrer beider Konfessionen angehören, setzt sie sich für die Konzernverantwortungsinitiative ein. Sie ist Pfarrerin in der Kirchgemeinde Zürich.

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