Die Begegnung führt zu Empathie

Religionen

Über Glaube und Religion schreiben, ohne gängige Stereotype zu bedienen: Eine Mittelschulklasse der Kantonsschule Zürich Nord hat sich der Aufgabe gestellt. 

Was bedeutet Claudia als Oberministrantin der Glaube? Weshalb trägt die 18-jährige Shefije seit ihrer Pilgerreise nach Mekka ein Kopftuch? Und was bewog den tibetisch-buddhistischen Mönch, Vater von Tseyang, dem Klosterleben den Rücken zu kehren und in die Schweiz zu kommen? 

Zum fünften Mal schon haben junge Menschen für das Portal religion.ch solche Texte realisiert. Zum ersten Mal waren es aber nicht Studierende einer Universität, sondern Schülerinnen der Kantonsschule Zürich Nord. Die Arbeiten entstanden im Ergänzungsfach Religion und in Zusammenarbeit mit Rafaela Estermann, Religionswissenschaftlerin und Redaktionsleiterin beim Magazin religion.ch. Die Online-Publikation ist ein Projekt von Iras Cotis, der interreligiösen Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz.

Man glaubt zu wissen 

Im Januar besuchte Estermann die Klasse und diskutierte mit den Schülerinnen, wie Religion in den Medien dargestellt wird und welche Rolle Stereotype und Vorurteile häufig spielen. In einem kurzen Workshop erhielten die Jugendlichen einen Einblick ins journalistische Handwerk der Reportage. Anschliessend machten die Schülerinnen sich auf die Suche nach eigenen Themen. 

Wenn wir Menschen begegnen statt abstrakten Ideen, können wir Gemeinsamkeiten entdecken.
Rafaela Estermann, Religionswissenschaftlerin

Es sei anspruchsvoll, über Religion zu schreiben, ohne die gängigen Klischees zu bedienen, sagt Estermann, nicht nur für Jugendliche. Viele Menschen in der Schweiz hätten ein sehr statisches Bild von Religion. «Man glaubt zu wissen, was der Islam, das Christentum oder der Hinduismus ist. Und bedenkt zu wenig, dass Menschen ihre eigene Religion sehr individuell deuten und leben.» Ein Christ, der nicht an das Paradies glaubt, oder eine muslimische Frau, die Schweinefleisch isst, können für Irritationen sorgen. 

Es sind deshalb die Begegnungen mit Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung, die bei den Reportagen im Zentrum stehen. «Dialog führt nicht automatisch zu Verständnis. Aber wenn wir Menschen begegnen statt abstrakten Ideen, können wir Gemeinsamkeiten entdecken und Empathie entwickeln», ist Rafaela Estermann überzeugt. 

Die neun Gymischülerinnen haben unterschiedliche Zugänge für ihre Reportagen gewählt. Lehrerin Roshin Panikulam achtete darauf, dass verschiedene Religionen abgebildet werden. Als die Autorinnen ihre Texte überarbeiteten, verwendeten sie nochmals viel Zeit darauf, gewisse stereotype Bilder zu reflektieren, sagt Estermann. «Dieser Aufwand ist gross, doch er lohnt sich.» 

Wechsel der Perspektiven 

Einige Autorinnen haben gleichaltrige Jugendliche befragt, sie in die Kirche oder Moschee begleitet. Besonders interessant ist, wenn sie beschreiben, was sie selbst erleben, wie sich ihr Bild vom Gegenüber dadurch erweitert und so ein zusätzlicher Perspektivenwechsel gelingt. Andere Artikel befassen sich mit Menschen, deren Glaube oder sogar Religionszughörigkeit sich im Lauf ihres Lebens verändert hat. 

Eine empfehlenswerte Sommerlektüre!  

www.religion.ch/reportagen