Recherche 23. Februar 2016, von Matthias Böhni

«Wenn alles nur freiwillig ist, entsteht zu wenig Druck»

Wirtschaftsethik

Gemäss einer neuen Studie tun Schweizer Unternehmen zu wenig für die Menschenrechte. Ein Interview mit der Studien-Autorin Chantal Peyer.

Sie haben für die Studie Websites der Konzerne analysiert. Reicht das? Vielleicht haben die Konzerne ja nicht alles auf der Website publiziert.

Chantal Peyer: Wir haben eine quantitative und eine qualitative Studie gemacht. Bei der quantitativen suchten wir auf den Websites nach Standards zu Menschenrechten und nach den Uno-Leitlinien für Menschenrechtspolitik. Dort kann tatsächlich eine kleine Unsicherheit sein, denn nichtbörsenkotierte Unternehmen haben vielleicht nicht alles publiziert. Aber auch bei nichtbörsenkotierten Firmen wird erwartet, dass die Menschrechtspolitik veröffentlicht wird. Das ist klar internationaler Standard heute.

Und bei der qualitativen Studie?

Wir haben bei 14 Firmen Analysen auf den Websites gemacht und diese den Firmen geschickt. Anschliessend ist auch deren Antwort in die Studie eingeflossen. Nur acht Firmen haben übrigens geantwortet.

Es fällt auf, dass Sie in der Medienmitteilung und in der Zusammenfassung der Studie keine Firmennamen publiziert haben.

In der Studie selber sind die Firmennamen schon erwähnt. Wir wollten aber kein Rating machen, sondern ein Gesamtbild der Menschenrechtspolitik von Schweizer Firmen zeigen. Wir haben auch nur die guten Beispiele erwähnt. Von den 14 haben einige nicht gut abgeschnitten. Und von den 200 untersuchten Firmen machen 60 Prozent nichts bei den Menschenrechten oder kommunizieren nichts dazu.

Die Firma Kuoni ist gemäss Studie bei den Menschenrechten «extrem progressiv» und «maximal transparent». Hätte diese Firma nicht eine prominentere Nennung verdient?

Wir erwähnen Kuoni im der Studie mehrmals. Aber in der Pressemitteilung wollten wir nicht nur ein Unternehmen nennen. Kuoni ist vorbildlich, benennt die Probleme und macht jedes Jahr ein Update über die eingeleiteten Massnahmen. Bei Kuoni redet man über Kinderarbeit in Indien oder wie der Tourismus die Lebensgrundlagen der Fischer zerstören kann.

Ist diese Firma dort, wo alle Firmen sein sollten?

Wir hätten einen riesigen Schritt vorwärts gemacht, wenn alle Firmen die Menschenrechte so ernst nähmen wie Kuoni. Das schafft Vertrauen. Aber die meisten Firmen anerkennen die Probleme nicht und sagen auch nicht, wie sie sie lösen wollen.

Auch Nestlé, Syngenta, Crédit Suisse, UBS, ABB und Holcim schneiden recht gut ab. Nestlé ist bei vielen NGOs immer noch ein rotes Tuch. Ist es Zeit, Nestlé besser zu beurteilen?

Nestlé hat in den letzten Jahren viel gemacht bei den Menschenrechten, und das ist keine PR. Die Firma versucht tatsächlich, die Uno-Leitlinien umzusetzen. Aber es gibt immer noch Probleme. Die Firma publiziert zwar lange Berichte, zeigt aber nicht, wie sie Probleme konkret angeht.

Sollte das Augenmerk nicht eher auf die kleineren Firmen gelegt werden, die bei den Menschenrechen praktisch überhaupt nichts machen?

Nein. 60 Prozent der Grosskonzerne hat die Hausaufgaben bei den Menschenrechten nicht gemacht. Diese Grosskonzerne haben mehr Ressourcen und Einfluss auf andere Unternehmen. Sie sind mehr in der Verantwortung: Was sie entscheiden, hat riesige Auswirkungen auf Entwicklungsländer.

Aber machen die KMUs genug für die Menschenrechte?

Es kommt stark auf die Branche an und hängt auch von der Unternehmenskultur ab. Auch kleinere Textilfirmen beispielsweise sind stark unter Druck geraten nach dem Unfall in Bangladesch. Kampagnen wie «Clean Clothes» haben zusätzlichen Druck erzeugt, das bewegt auch die kleinen Unternehmen.

Die Studie zeigt, dass börsenkotierte Unternehmen besser abschneiden als nichtbörsenkotierte. Ist es für die Menschenrechte besser, wenn eine Firma an der Börse gehandelt wird?

Börsenkotierte Unternehmen sind sich des Reputationsrisikos bei Menschenrechtsverletzungen bewusster, weil das den Aktienkurs negativ beeinflussen kann. Diese Firmen haben das Risikomanagement früher eingeführt und waren schon im Visier von Kampagnen, so zum Beispiel Holcim, Glencore oder Nestlé.

Besteht ein Zusammenhang zwischen den «Panama Papers» und der Studie von Brot für alle?

Ja. Bei den «Panama Papers» sieht man: Sogar wenn es Gesetze gibt, halten sich die Firmen nicht immer an sie. Und das wiederum zeigt: Solange es keine Gesetze gibt zu Menschenrechten, werden erst recht nicht alle Firmen freiwillig das Richtige tun.

Gibt es aber Gesetze, ist der Skandal umso grösser, wenn Personen oder Firmen sie verletzen – dies ist bei den «Panama Papers» der Fall. Das hat rechtliche Folgen, und ein Gericht kann es beurteilen.

Deshalb möchten wir mit der Konzernverantwortungsinitiative, dass es auch bei den Menschenrechten Gesetze für Schweizer Firmen gibt. Wenn alles nur freiwillig ist, entsteht zu wenig Druck. 

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «ref.ch» und «Interkantonaler Kirchenbote».

Die Studie

Die neue Studie «Die Menschenrechtspolitik der Schweizer Konzerne» von «Brot für alle» und Fastenopfer untersucht, inwieweit die 200 grössten Schweizer Unternehmen Mindeststandards zum Schutz der Menschenrechte umsetzen. Gemäss der Studie richten nur elf Prozent der Konzerne ihre Unternehmenspolitik tatsächlich nach den Leitprinzipien der Uno zu Wirtschaft und Menschenrechten aus.

Die Studie als PDF

Mehr zu diesem Thema

Engagement der Kirchen im Kovi-Abstimmungskampf: Bundesgericht kann sich nicht einmischen
08. April 2021, von Katharina Kilchenmann, Marius Schären

Engagement der Kirchen im Kovi-Abstimmungskampf: Bundesgericht kann sich nicht einmischen

Stimmen nach der Abstimmung: Das Thema der ethischen Verantwortung bleibt
30. November 2020, von Karin Müller, Tilmann Zuber/kirchenbote-online.ch

Stimmen nach der Abstimmung: Das Thema der ethischen Verantwortung bleibt

Banner müssen nicht vom Kirchturm verbannt werden
26. November 2020, von Sandra Hohendahl-Tesch

Banner müssen nicht vom Kirchturm verbannt werden

«Mit ihren Verstössen zerstören Unternehmen jahrelange Entwicklungsarbeit»
15. November 2020, von Tilmann Zuber / Kirchenbote

«Mit ihren Verstössen zerstören Unternehmen jahrelange Entwicklungsarbeit»

Welchem Komitee wäre Jesus beigetreten?
29. Oktober 2020, von Felix Reich

Welchem Komitee wäre Jesus beigetreten?

Bundesrätin Karin Keller-Sutter: «Die Initiative ist gut gemeint, aber nicht gut gemacht»
27. Oktober 2020, von Katharina Kilchenmann

Bundesrätin Karin Keller-Sutter: «Die Initiative ist gut gemeint, aber nicht gut gemacht»

Dick Marty vom Komitee der Konzerninitiative bezeichnet diverse Argumente der Gegner als falsch
23. Oktober 2020, von Marius Schären

Dick Marty vom Komitee der Konzerninitiative bezeichnet diverse Argumente der Gegner als falsch

Heiliggeistkirche am Berner Bahnhofsplatz. (Foto: Jonathan Liechti)
22. Oktober 2020, von Nicola Mohler

20 Kirchen zeigen Flagge

Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz mischt sich in den Abstimmungskampf ein.
09. Oktober 2020, von Nicola Mohler

Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz mischt sich in den Abstimmungskampf ein.

«Es genügt, wenn jeder Konsument und jede Konsumentin entsprechend handelt»
23. September 2020, von Tilmann Zuber / Kirchenbote

«Es genügt, wenn jeder Konsument und jede Konsumentin entsprechend handelt»

«Die meisten arbeiten lieber in Firmen, die sich ethisch korrekt verhalten»
23. September 2020, von Tilmann Zuber / Kirchenbote

«Die meisten arbeiten lieber in Firmen, die sich ethisch korrekt verhalten»

Konzernverantwortung: Gegenvorschlag und Corona-Krise könnten die Ausgangslage bis November ändern
03. Juli 2020, von Tilmann Zuber/kirchenbote-online.ch

Konzernverantwortung: Gegenvorschlag und Corona-Krise könnten die Ausgangslage bis November ändern

Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative: «Wirkungslos und willkürlich»
23. Juni 2020, von Daniel Klingenberg/kirchenbote-online.ch

Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative: «Wirkungslos und willkürlich»

«Die Wirtschaft dient dem Menschen»
05. September 2019, von Delf Bucher

«Die Wirtschaft dient dem Menschen»

«Das Evangelium ist in sich politisch – nicht parteipolitisch»
05. August 2019, von Nicola Mohler

«Das Evangelium ist in sich politisch – nicht parteipolitisch»

«Ich fürchte einfach die negativen Folgen der Initiative»
05. August 2019, von Nicola Mohler

«Ich fürchte einfach die negativen Folgen der Initiative»

Kampf für Mensch und Umwelt
20. März 2019, von Nicola Mohler

Kampf für Mensch und Umwelt

Nun entscheidet das Volk
17. März 2019, von Karin Müller/kirchenbote-online.ch

Nun entscheidet das Volk

Nationalrat will Grosskonzerne stärker in Verantwortung nehmen
15. Juni 2018, von Marius Schären

Nationalrat will Grosskonzerne stärker in Verantwortung nehmen

Etappensieg für Hilfswerke
21. April 2018, von Felix Reich

Etappensieg für Hilfswerke

Überfällig oder übermotiviert?
23. Februar 2018, von Cyrill Rüegger

Überfällig oder übermotiviert?

Bildung statt Arbeit
03. Mai 2017, von Karin Müller/kirchenbote-online.ch

Bildung statt Arbeit

Mehr Schutz für Mensch und Umwelt
16. August 2016, von Nicola Mohler

Mehr Schutz für Mensch und Umwelt

Von der Kehrseite der Goldmedaille
31. Januar 2016, von Delf Bucher

Von der Kehrseite der Goldmedaille