Die Konzernverantwortungsinitiative will, dass Schweizer Unternehmen auch im Ausland nicht mehr in Menschenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen involviert sind. Wieso unterstützen Sie die Initiative?
Gabriela Allemann: Persönlich stehe ich hinter der Initiative, weil ich es falsche finde, dass multinationale Konzerne sich im Ausland über Gesetze und Standards hinwegsetzen können. Die Konsequenzen tragen jene Menschen, die sich nicht wehren können und die Umwelt - das macht mich wütend.
Seit Juni sind Sie Präsidentin der Evangelischen Frauen Schweiz EFS. Die Organisation steht hinter der Initiative. Warum?
Wir vertreten als Dachverband reformierte und ökumenische Frauenvereine und –verbände. Zu unseren Grundsätzen gehört es, sich für die Schwachen einzusetzen, deren Stimme nicht gehört wird. Wir finden es wichtig, dass auch diese Menschen ihr Recht einklagen können. Das Unrecht wahrzunehmen und für Gerechtigkeit einzustehen, gehört zur jüdisch-christlichen Ehtik: die Prophet-innen mahnen, die Armen nicht auszubeuten und Jesus stand explizit auf der Seite der Schwachen.
Als Frauenorganisation fokussieren wir auf die Frauen, die von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden durch Multis betroffen sind. Frauen und Kinder leiden stark unter den Missständen: Indigene Bäuerinnen verlieren nach Betreibungen ihr Land, auf dem sie Nahrung für ihre Familien herstellen, oder Kinder erkranken durch verschmutzte Gewässer. Und nicht zuletzt unterstützen wir die Initiative auch deshalb, weil wir – zum Beispiel als Trägerinnen des Weltgebetstages – Projekte im Süden unterstützen, deren Bemühungen durch gewisse Multis zunichte gemacht werden: Positive Entwicklungen werden um Jahrzehnte zurückgeworfen oder es werden erneute Abhängigkeiten geschaffen, die eigentlich überwunden waren.
Im September ist die Konzernverantwortungsinitiative in der Herbstsession des Parlaments im Ständerat traktandiert. Während der Nationalrat sich für einen indirekten Gegenvorschlag aussprach, lehnte der Ständerat einen solchen ab. Soll man sich mit dem im Gegenvorschlag Erreichten zufriedengeben und die Initiative zurückziehen oder aufs Ganze gehen und auf einem Urnengang beharren?
Die Abstimmung im Frühling fiel mit 22 gegen 20 Stimmen im Ständerat knapp aus. Wird der vom Nationalrat formulierte Gegenvorschlag im September angenommen, unterstützten die EFS das Initiativkomitee, das die Initiative zugunsten eines unveränderten Gegenvorschlags zurückziehen will. Zwar ist der Gegenvorschlag nicht mehr ganz so prägnant wie der Initiativtext, hat aber den Vorteil, dass die Umsetzung der Forderungen schneller vonstatten ginge – da keine Verfassungsänderung nötig wäre. Kommt die Initiative, nach einer Ablehnung des Gegenvorschlages, im Frühling 2020 vors Volk, würde nach einer Annahme noch einmal Zeit verstreichen, bis die Veränderungen umgesetzt werden können.
Der Initiative werden für eine Abstimmung gute Chancen vorausgesagt. Gemäss Umfragen ist ein ansehnlicher Teil der Schweizer Öffentlichkeit der Meinung, multinationale Firmen trügen die Hauptverantwortung für Armut, Krankheit und Unterentwicklung in der Dritten Welt. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für die kritische Haltung gegenüber Multis?
In den letzten Jahren wurde immer wieder über Fälle von Konzernen berichtet, die im Ausland ihre Verantwortung für Menschenrechte und Umweltstandards nicht wahrnehmen. Vor allem die Missstände rund um den Konzern Glencore haben die Menschen aufhorchen lassen. Ich glaube, dass sich durch diese Berichte ein Bewusstsein geschärft hat, das vorher nicht in diesem Ausmass da war. Die Menschen sind zu Recht empört. Zudem steht die Schweiz als Land für Werte und Moral, wenn diese mit Füssen getreten werden, fassen dies wohl viele auch als Beleidigung am guten Ruf der Schweiz auf.
Kürzlich publizierte Philipp Aerni, Direktor des Zentrums für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit (CCRS) der Universität Zürich, ein Buch, in dem er die Rolle der multinationalen Firmen analysiert. Er kommt zum Schluss, dass sie in armen Ländern eher Segen als Fluch seien. Sie würden Fortschritt und wirtschaftliche Prosperität fördern. Was meinen Sie zu diesen Ergebnissen?
Das kann durchaus so sein. Ein Konzern, der seine Verantwortung wahrnimmt, kann Arbeitsplätze schaffen, den Wohlstand fördern. Unabhängig davon ist doch aber entscheidend, dass dort, wo Missstände herrschen, diese aufgedeckt, behoben und wenn nötig sanktioniert werden. Und hier möchte ich unterstreichen: Konzerne, die ethisch und moralisch korrekt arbeiten, die ihre Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt wahrnehmen, sind von der Initiative nicht betroffen und müssen sich davor nicht fürchten. Für sie wird sich nichts verändern.
Genau dieses Argument verwenden die Gegner der Initiative. Sie bezeichnen diese als kontraproduktiv. Sie warnen vor einer Verrechtlichung und Schwächung des Wirtschaftsstandortes Schweiz. Was antworten Sie darauf?
Das ist total absurd. Wie bereits gesagt: Jene Konzerne, die sich bereits heute an Menschenrechte halten, haben nichts zu befürchten. Ich empfinde die jetzige Regelung als unfair, weil Unternehmen sich in der Schweiz an Regeln zu halten haben, diese Regeln aber für Unternehmen, die im Ausland tätig sind, dort nicht gelten. Die Umsetzung der Konzernverantwortungsinitiative würde hier endlich gleich lange Spiesse schaffen. Die Initiative enthält keine extreme Forderung und ich finde es nicht redlich, hier Ängste zu schüren. Die Einhaltung der verlangten Standards auch im Ausland ist doch eine Selbstverständlichkeit.
Die Gegner führen aber ins Feld, die Initiative könnte dazu führen, dass sich Firmen aus Märkten zurückziehen und auf die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern verzichten.
Wir wissen aus Studien in Ländern, die diese Normen bereits anwenden, dass genau dies nicht eingetroffen ist. Grossbritannien wie auch Frankreich kennen neben der Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte und den Umweltstandards bereits heute die geforderte Sorgfaltsprüfung, die Berichterstattung und die Haftung wenn es um ausländische Zuliefererfirmen geht. Nochmal: Die meisten multinationalen Konzerne werden von der Initiative gar nicht betroffen sein.
Für die Initiative legen sich auch kirchliche Hilfswerke und Kirchenleute ins Zeug. Gemäss der Homepage Kirche für Kovi unterstützen verschiedene reformierte Landeskirchen und 64 Kirchgemeinden und Pfarreien die Initiative. Ist die kirchliche Unterstützung hier besonders wichtig?
Eine breite Unterstützung ist für dieses politische Anliegen besonders wichtig. Es geht hier nicht um die Frage, ist man politisch links oder rechts eingestellt. Bei der Konzernverantwortungsinitiative geht es um Grundsätze, welche den Kirchen zentral sind: globale Gerechtigkeit, die Bewahrung der Schöpfung, Solidarität, Würde der Menschen. Die Kirche kann sich also hier gar nicht heraushalten, sie ist involviert und muss Stellung beziehen.
Ob Kirche politisch sein soll oder nicht, führte jüngst immer wieder zu emotionalen Debatten. Muss Kirche politisch sein?
Das Evangelium ist in sich politisch – nicht parteipolitisch. Es wirkt in und für die Gesellschaft. Für mich ist ein wichtiger Bezugspunkt, dass Jesus mittendrin stand und mit seinen Worten und Taten die Menschen und die Gesellschaft verändern wollte. Er rief zu engagiertem Hinschauen und Hinstehen für die Schwachen auf. Das ist für mich eine starke politische Aussage: für die Menschen am sogenannten Rande der Gesellschaft einzustehen. Heute leben in einer globalisierten Welt, in der wir nicht mehr nur das Dorf im Blick haben, in welchem wir wohnen. Der Nächste oder die Nächste, die wir zu lieben aufgefordert sind, ist auch die Bevölkerung im globalen Süden. Es ist die Verantwortung der Kirche, sich auch für diese Menschen engagiert einzusetzen.
Lesen Sie hier die Gegenargumente des Ethikers und Theologen Markus Huppenbauer.