Nicht nur bei den Gegnern der Konzernverantwortungsinitiative, auch kirchenintern hat die Abstimmungskampagne von über 700 Kirchgemeinden und Pfarreien zum Teil heftige Reaktionen ausgelöst. Ihr Engagement für ein Gesetz, das Konzerne in die Pflicht nimmt und Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung verhindert, schien einigen übertrieben.
Deshalb wurden beim Bundesgericht von verschiedenen Seiten Beschwerden eingereicht gegen das Engagement von Landeskirchen und Kirchgemeinden im Abstimmungskampf. Die Jungfreisinnigen und weitere Beschwerdeführer monierten, die Kirchen verhielten sich wie eine politische Partei. Und sie würden sich als steuerfinanzierte öffentlich-rechtliche Körperschaft auf unzulässige Weise in den Abstimmungskampf einmischen.
Bundesgericht tritt nicht auf Beschwerden ein
Das Bundesgericht hat nun die diversen Beschwerden als «gegenstandslos» abgeschrieben. Sie seien hinfällig, da die Initiative an der Urne knapp abgelehnt wurde. Zwar anerkennt das Gericht, dass ein öffentliches Interesse bestehe, das Engagement von Landeskirchen und Kirchgemeinden bei Abstimmungen zu klären. Doch das gelte es erst dann zu überprüfen, wenn sich Aktivitäten tatsächlich auf den Abstimmungsausgang ausgewirkt haben.
Beide Seiten, die Landeskirchen und die Jungfreisinnigen werten den Entscheid auch positiv. Der Versuch, der Kirche einen Maulkorb zu erteilen, sei gescheitert, schreibt die Kampagne «Kirche für Konzernverantwortung». «Dass sich die Kirche für die Bewahrung der Schöpfung und den Schutz der Schwächsten einsetzt, gehört zu ihrem Auftrag», heisst es in der Medienmitteilung vom 8. April. Es sei daher selbstverständlich, dass sie sie sich auch weiterhin zu politischen Fragen äusserten und an öffentlichen Debatten teilnähmen.
Gar keine andere Wahl
Rechtsanwalt Martin Looser, der mehrere Kirchgemeinden und den Verein Konzernverantwortungsinitiative vor Bundesgericht vertreten hat, ordnet die Verfügung des Bundesgerichts auf Anfrage weiter ein: «Dass sich das Bundesgericht um einen Entscheid drücke, wie manche Medien schreiben, ist barer Nonsens. Das Gericht hatte nach der Ablehnung der Initiative an der Urne gar keine Grundlage mehr, über die Beschwerden tatsächlich inhaltlich zu entscheiden.» Aufgrund des Bundesgerichtsgesetzes und der bisherigen Praxis habe das Gericht also keine andere Wahl gehabt, als die Beschwerden infolge Gegenstandslosigkeit abzuschreiben.
Anders hätte es ausgesehen, wäre die Initiative angenommen worden, sagt Looser. «Dann hätten sämtliche der vielen Vorwürfe in den diversen Beschwerden einzeln geprüft werden müssen.» Der Jurist schliess nicht aus, dass das Gericht den Beschwerden in einzelnen Punkten Recht gegeben hätte. «Aber das Ansinnen der Beschwerdeführenden, den Kirchen in politischen Fragen einen generellen Maulkorb zu verpassen, ist haarsträubend und wäre so vom Bundesgericht kaum geschützt worden.» Umso mehr, findet Martin Looser, als es im Fall der Konzernverantwortungsinitiative auch um ethische Fragen ging, zu denen die Kirchen im demokratischen Meinungsbildungsprozess einen wichtigen Beitrag leisteten.
Für Jungfreisinnige «absolut unverständlich»
Die Jungfreisinnigen bedauern den Entscheid, wie es in einer Medienmitteilung heisst. Er sei «absolut unverständlich», schreiben sie auf Twitter. Auch die Bundeskanzlei und die Kantonsregierungen hätten sich explizit gewünscht, dass das politische Engagement der Kirchen geprüft würde.
Trotzdem sei das Urteil positiv zu werten. «Der Entscheid des Bundesgerichtes ist mitnichten ein Freibrief für die Landeskirchen für künftige Interventionen in politische Abstimmungskämpfe, im Gegenteil. Der Entscheid ist als Warnschuss zu verstehen», wird Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen, in einer Stellungnahme zitiert.
Und die Jungfreisinnigen wollen weiter ein Auge auf den Tätigkeiten der Kirchen haben. «Sollten die Landeskirchen die Lehren aus dem Abstimmungskampf über die Konzernverantwortungsinitiative nicht ziehen wollen und sich weiter den Linken Parteien als Steigbügelhalter anbieten, dann werden wir erneut rechtliche Schritte erwägen», kündigen sie an. Unabhängig davon wollen sie auf kantonaler Ebene aktiv werden, «um den politischen Spielraum der Kirchen rechtlich eng zu halten».