Das Volk hätte die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) angenommen, wenn auch mit 50,7 Prozent äusserst knapp. Gescheitert ist sie schliesslich am Ständemehr. Nina Burri, Verantwortliche Unternehmen und Menschenrechte bei «Brot für alle», blickt denn mit gemischten Gefühlen auf die Abstimmung: «Klar, ich bin enttäuscht, wir waren so nahe dran», sagt sie.
Doch es bleibe das grosse Engagement. «Aus der Zivilgesellschaft ist eine Kraft entstanden, die es schaffte, das Thema über Jahre hoch oben auf der Agenda zu halten. Das ist ein Gewinn.» Als die Initiative im April 2015 lanciert wurde, «hätte niemand für möglich gehalten, dass wir die Mehrheit überzeugen können», sagt Burri.
Über die Gründe, warum die Initiative so knapp gescheitert ist, könne man zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren. Nina Burri vermutet, dass die Auftritte von Bundesrätin Karin Keller-Sutter und die Corona-Situation den Ausgang beeinflusst haben könnten. Der Bundesrat sei verpflichtet, objektiv und sachlich zu informieren. Keller-Sutter sei verschiedentlich kritisiert worden, dass sie die Grenze zwischen behördlicher Information und Kampagne arg strapaziert habe.
Ringen um Aufmerksamkeit führte zu «unschönen» Diskussionen
Mit der Pandemie habe sich der Abstimmungskampf zudem auf digitale Kanäle und in die Medien verlagert. «Das wirkte wie ein Filter. Die direkte politische Diskussion war dadurch eingeschränkt», meint Burri. Die Gegner hätten es in der Endphase vorgezogen, die Finanzierung der Ja-Kampagne zu kritisieren und die Glaubwürdigkeit der Vertreter der Initiative in Frage zu stellen, anstatt über Inhalte zu sprechen. «Beim Ringen um Aufmerksamkeit hat es unschöne Dinge gegeben, doch die Diskussion ist eben auch sehr engagiert geführt worden.»
Das kirchliche Hilfswerk «Brot für alle» gehört zu den Initianten der KoVI. Unzählige Kirchgemeinden unterstützten das Anliegen und beflaggten ihre Gotteshäuser, auch die Evangelische Kirche Schweiz und die Bischofskonferenz sagten Ja zur Initiative. Ein Engagement, das zum Teil hart kritisiert wurde. Die Kirche dürfe nicht politisieren, hiess es. Die Jungfreisinnigen zogen ihre Klage bis vor das Bundesgericht.
Glarner Kirchenratspräsident erfreut über Ablehnung
Erfreut über den Ausgang der Abstimmung zeigt man sich in Glarus. «Wir haben das Ziel erreicht», erklärt Ulrich Knoepfel. Eigentlich hat der Kirchenratspräsident der Glarner Kantonalkirche damit gerechnet, dass die Initiative knapp angenommen wird.
Ulrich Knoepfel hat bei den kirchlichen Stimmen mitgewirkt, die sich dezidiert gegen die Initiative gewehrt hatten. «Ich wollte zeigen, dass die Kirche nicht ein einziger moralischer Monolith ist, sondern aus verschiedenen Stimmen besteht», erklärt der Pfarrer und Jurist.
Als Grund für die Ablehnung sieht Knoepfel, dass die Befürworter den Bogen überspannt haben. «Die Kampagne war zu aggressiv. Und viele bekundeten mit der Vorstellung Mühe, dass sich die Schweiz im Ausland als Weltpolizist gebärdet.»
Knoepfel ist überzeugt, dass sich die Kirchen mit ihrem Engagement geschadet haben. In den Auseinandersetzungen habe nur noch ein moralisches Schwarz-weiss-Denken geherrscht. Knoepfel bedauert, dass es zu Beschimpfungen gekommen sei. Die Abstimmung habe gezeigt, wie gross die Gefahr einer Spaltung sei, wenn sich die Kirchen dermassen auf eine Seite schlügen. «In den Volkskirchen müssen verschiedene Stimmen und Strömungen Platz finden.»
Mehr Dialog zwischen Wirtschaft und Kirchen gefordert
Ulrich Knoepfel fordert, dass Kirche und Wirtschaft in Zukunft stärker aufeinander zugehen müssten, um den Dialog zu finden. «Im Moment sind dies offenbar zwei Welten, die miteinander wenig zu tun haben. Das ist nicht gut.»
Grundsätzlich sei die Wirtschaft zu diesem Dialog bereit und sehe auch, dass das ethische Bewusstsein zunehmen müsse. Knoepfel hofft, dass man zurückkehrt zu einer politischen Kultur, die sachlicher und wertschätzender ist. «Wir müssen miteinander reden, ohne uns gegenseitig zu verunglimpfen. Alles andere ist unchristlich.»
Die breite Unterstützung in den Kirchen sei einzigartig und sehr mutig, findet hingegen Nina Burri. Sie zeige, wie nahe bei den Menschen man mit den Anliegen der Kovi sei. «Es geht um Menschenwürde, globale Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung», erklärt Burri. «Das sind fundamentale Werte des christlichen Glaubens. Ich finde es darum absolut legitim, wenn die Kirchen hier Flagge gezeigt haben.»
Die Schweiz werde sich eh bald wieder mit diesem Thema beschäftigen müssen, denn die EU arbeite für nächstes Jahr neue Regeln aus. «Die Schweiz darf international nicht zum Hafen werden, wo Menschenrechtsverletzungen keine Konsequenzen haben.»