Als «magisch» bezeichnet Nina Mayer das, was sie am Pfingstmontag in der reformierten Kirche in Scuol mit ihrem Frauenchor erlebte. Es sei ein Fest des Geistes gewesen, ganz im Sinne von Pfingsten, meint sie. In der Bibel heisst es: «Und sie wurden alle erfüllt von heiligem Geist und fingen an, in anderen Sprachen zu reden.» Genau das geschah sinnbildlich auch hier. Die Stimmen der Frauen erklangen in zahlreichen Sprachen, getragen von einer besonderen, innigen Stimmung. Diese Konzerte nannte Mayer «Glüm», das romanische Wort für «Licht». «Licht, das ist genau das, was wir in der aktuellen Weltlage brauchen», sagt sie.
Vom Ständchen zum Chor
Die Idee für den Chor entstand spontan. Für eine private Geburtstagsfeier wurde Mayer einst eingeladen, zu singen. Zum Abschluss der Feier stimmten alle gemeinsam das bekannte christliche Abendlied «Der Mond ist aufgegangen» an. Die Frauen fragten seither immer wieder, wann es denn endlich einen richtigen Frauenchor gebe. «Eine der Frauen, Leta Parolini, blieb richtig hartnäckig.» Und so habe sie regelmässig nachgefragt, wann dieses Vorhaben denn nun endlich starte. «Das hat mich dann zusätzlich motiviert», erzählt Mayer lachend. Sechs Monate lang, von Januar bis Juni, traf sich eine bunte Gruppe Frauen vor allem aus dem Unterengadin regelmässig zum Singen. Junge und ältere Frauen, mit ganz unterschiedlichen beruflichen Hintergründen. Sie gründeten Fahrgemeinschaften, freuten sich auf die gemeinsamen Abende und wuchsen zu einer Gemeinschaft zusammen. Eine Teilnehmerin beschreibt es so: «Es ist vor allem Nina Mayer, die das Ganze so besonders macht. Ihre humorvolle und wertschätzende Art, den Chor zu leiten, begeistert uns immer wieder.»
Ein inspirierender Raum
Mayer, von Haus aus katholisch, hat in einer Klosterschule das Gymnasium absolviert und ist später zur reformierten Kirche übergetreten. Sie lebt in Ramosch, ist als Sängerin, Chorleiterin und Gesangslehrerin tätig. Sie leitete den Chor für die Konzerte mit dem Golden State Symphony Orchestra, als in der Eishalle in Scuol Beethovens 9. Sinfonie aufgeführt wurde. Ein Event, der vor einem Jahr an der «500 Jahre Freistaat Graubünden»-Feier das Publikum begeisterte. Die Liedauswahl für das Projekt war von Beginn an klar: leicht umsetzbar, freudvoll, «lichtbringend». Die Frauen sangen auf Romanisch, Spanisch, Bosnisch, Zulu, Süd-Samoanisch, Englisch und sogar auf Sanskrit, die über 3000 Jahre alte altindische Sprache. «Hier, in einem geschützten, weiblichen Rahmen, konnten die Frauen ihre Stimmen frei erklingen lassen», sagt Mayer. Auch praktische Aspekte fanden dabei stets Berücksichtigung. Die Proben fanden jeweils um 18 Uhr statt, nach der Arbeit, aber noch vor dem Zubettbringen der Kinder. Ein richtig durchdachtes Zeitfenster für ein nachhaltiges Projekt.
Resonanz in der Kirche
Dass das Konzert in der reformierten Kirche stattfand, war für Mayer keine Frage. «Die Akustik ist hier drinnen am optimalsten», sagt sie. «Ich selbst habe meine Stimme auch in der Kirche gefunden.» Andere Orte wie etwa der Gemeindesaal oder der Dorfplatz kamen für sie nicht infrage. «Es hätte nicht dieselbe Atmosphäre ergeben.» Der Lohn dieser musikalischen Reise war aber nicht allein der Applaus, sondern auch ein beachtlicher Spendenerlös: 8000 Franken kamen zusammen. Das Geld geht an das Frauenhaus Graubünden und an den Verein Aurora, der verwitweten Eltern mit minderjährigen Kindern unter die Arme greift.
Fortsetzung folgt
Für Chorleiterin Nina Mayer ist sicher: Das Konzert von Pfingsten mit 90 Teilnehmerinnen war erst der Anfang. Der Frauenchor soll auch auf längere Dauer weiterbestehen. «Wir brauchen dazu mindestens 15 Teilnehmerinnen, und ich bin zuversichtlich.» Ihr Erfolg spricht für sich. Und genau das ist es ja, was Pfingsten im besten Sinne bedeutet: Menschen verbinden, Stimmen erheben und in diesem Geist Licht in die Welt bringen.