Sie sind stolz auf Ihre Kirche: So lautet Ihr Wahlslogan. Gibt es Dinge, auf die Sie weniger stolz sind?
Ich frage mich, ob die Kirche in ihrem Engagement für die gesamte Gesellschaft noch genügend stark wahrgenommen wird.
Nur das Image hat gelitten?
Vielleicht hat die Kirche tatsächlich nachgelassen in ihrer seelsorglichen Präsenz und in ihrem sozialen Engagement. Zuletzt haben sich die Landeskirche und die Kirchgemeinden mit Strukturfragen herumgeschlagen. Das war nötig, hat aber Kräfte gebunden und Spuren hinterlassen. Ich habe in der Stadt Zürich als Pfarrerin selbst erlebt, wie viel Energie die Strukturbereinigung gekostet hat. Wir müssen aufpassen, dass die Kirche nach aussen wirksam bleibt und die Bevölkerung etwas von ihr hat.
Sie haben lange für die SP politisiert im Zürcher Stadtparlament und im Kantonsrat. Wie links darf die Kirche sein?
Das ist die falsche Frage. Das Kirchenratspräsidium ist ein integrierendes Amt. In der Politik ging es mir immer um die Sache. Der Präsident der SVP-Fraktion im Kantonsrat hat für meine Kandidatur als Kirchenratspräsidentin ein Testimonial geschrieben. Das muss man als Sozialdemokratin erst einmal schaffen.
Dann lautet die richtige Frage wohl: Wie politisch darf Kirche sein?
Sie soll sich dort einmischen, wo sie über Kompetenz und Erfahrung verfügt. Da zählt zum Beispiel der Migrationsbereich dazu. Die Kirche ergreift für die Schwachen in der Gesellschaft Partei, für diejenigen, die am Rand stehen. In der Kirchenordnung steht, dass sie für die Würde des Menschen eintritt. Auch in ethischen und gesellschaftspolitischen Fragen soll sie sich zu Wort melden können. Wichtig ist, dass Positionsbezüge keine Alleingänge des Präsidiums sind, sondern vom Kirchenrat beschlossen werden.
Sie werden immer zuerst den Kirchenrat fragen, bevor Sie ein Interview geben?
In zentralen Fragen würde ich sicher nicht vorpreschen. Meine Aufgabe wäre es, der reformierten Landeskirche des Kantons Zürich eine Stimme zu geben. Selbstverständlich darf diese Stimme auch eine persönliche Färbung haben, doch die Argumentation muss sachlich, theologisch und redlich sein. Mit öffentlichen Auftritten im Namen des Kirchenrats habe ich viel Erfahrung. Die Positionen, die ich da vertreten habe, waren stets vom Gremium abgestützt.
Welchen Führungsstil pflegen Sie?
Ich werde keine Chefin.
Aber Präsidentin.
Genau. Es geht um politische und strategische Führung. Die operative Personalführung hingegen obliegt dem Kirchenratsschreiber und den Verantwortlichen in den Gemeinden. Ich höre zu, hole die verschiedenen Positionen ab, um mir selbst eine Meinung zu bilden. Mich interessiert, wie Mitarbeitende, die sich schon lange mit einem Thema befassen, eine Frage einschätzen. Ich kommuniziere transparent und streite gerne um die Sache.
Und wenn Sie unpopuläre Entscheide fällen müssen?
Dann ist es umso wichtiger, dass das Verfahren zur Entscheidfindung klar aufgebaut und nachvollziehbar ist. Manchmal geht einem Entscheid ein Seilziehen voran, Konzessionen werden gemacht. Ist ein Entscheid gefällt, gilt es ihn konsequent umzusetzen, damit darauf aufgebaut werden kann. Gerade bei schwierigen Entscheiden sind Verlässlichkeit und Transparenz unabdingbar.
Was sagen Sie jenen, die das Seilziehen verlieren?
Die Minderheit darf nicht vergessen gehen. Triumphgefühle sind immer fehl am Platz. Als Präsidentin wäre es mir wichtig, mit der Minderheit im Gespräch zu bleiben und ihre Anliegen nachvollziehen zu können. Ihre Bedenken sollen nicht dazu führen, dass ein Entscheid wieder umgestossen wird. Aber ich würde versuchen, die Minderheit mitzunehmen, indem ich ihre Anliegen ernst nehme.