Recherche 08. November 2023, von Cornelia Krause

«Ich wünsche mir eine offene Kirche»

Kirchenratswahl

Der Bülacher Pfarrer Dominik Zehnder möchte im Zürcher Kirchenrat die Zusammenarbeit zwischen Leitung und Kirchgemeinden verbessern und den Dialog fördern.

Nach dem Ausscheiden von Sabrina Müller sind Sie von der Liberalen Fraktion für den Kirchenrat aufgestellt worden.  Was reizt Sie an der Exekutive?

Ein Amt im Kirchenrat hat mich schon immer interessiert, aber ich wollte nicht denjenigen Konkurrenz machen, die schon im Kirchenrat sind. Nun wurde ich, kurz nach meinem Ausscheiden aus der Synode von der Liberalen Fraktion  angefragt, zu kandidieren. Fragen zu Kirchenleitung und Kirchenentwicklung interessieren mich seit dem Einstieg ins Pfarramt. Ich bin bereits früh ins Dekanat eingetreten, war auch rasch Leiter von Gemeinde- und Pfarrkonventen. Zudem bringe ich zusätzlich zum Pfarramt berufliche Erfahrungen aus anderen Bereichen mit. Mitgestalten auf Ebene Kirchenrat ist mir auch wichtig, weil ich merke, dass es in einigen Bereichen nicht so läuft, wie ich mir das vorstelle.

Können Sie das ausführen?

Bei Kirchgemeinde+ oder dem Grünen Güggel zum Beispiel steht für mein Empfinden weniger der Dialog als das Dekret im Zentrum. Manche Kirchgemeinden fühlen sich mit Problemen der Umsetzung alleingelassen, haben den Eindruck, ihnen wird nicht zugehört. Die Zusammenarbeit zwischen Kirchenleitung und Kirchgemeinden scheint mir von Hierarchien geprägt und zentralisiert. Ich nehme manchmal auch Hemmungen zur gegenseitigen Kontaktaufnahme wahr. Da möchte ich einen Beitrag zu einer besseren Zusammenarbeit leisten und offene Türen haben.

Interviewserie vor den Wahlen

Bis zu den Wahlen veröffentlicht «reformiert.» Interviews mit allen Kandidatinnen und Kandidaten für den Zürcher Kirchenrat und das vollamtliche Kirchenratspräsidium. Kirchenratspräsident Michel Müller tritt nach zwölf Jahren im Amt nicht mehr an. Die Kräfteverhältnisse in der Synode sind ziemlich ausgeglichen. Die Liberale Fraktion ist mit 34 Mandaten die stärkste Kraft, dahinter folgt die Evangelisch-kirchliche Fraktion mit 32 Sitzen. Die Religiös-soziale Fraktion zählt 28 Mitglieder, mit 27 Sitzen auf den letzten Platz abgerutscht ist der Synodalverein. Die Synode wählt Kirchenrat und Präsidium am 21. November. 

Was heisst das beispielsweise mit Blick auf den Grünen Güggel?

In meiner Gemeinde in Bülach waren wir punkto Nachhaltigkeit schon zertifiziert, bevor es den Grünen Güggel als Label gab. Aber solche Initiativen hängen stark von den Ressourcen ab. Es gibt kleine Gemeinden für die ist es schwierig, den Anforderungen nachzukommen. Ihnen fehlt schlicht das Personal. Sie brauchen Hilfestellung, allein um vielleicht nur einen Teil der Massnahmen umzusetzen. Bei manchen fehlen finanzielle Mittel. Und bei anderen braucht es einfach mehr Überzeugungsarbeit und Gespräche.   

Sie haben Theologie studiert, dann aber fast Ihr halbes Berufslebens in der Wirtschaft verbracht, im Bereich Kadervermittlung und bei Non-Profit-Organisationen. Was hat Sie schlussendlich zur Kirche gebracht?

Ich komme aus einer Familie, in der die Mitgliedschaft in der Kirche selbstverständlich war, die Kinder aber eher kirchenfern erzogen wurden. Ich habe auch eher aus akademischem Interesse und Neugierde Theologie studiert. Das Klima an der theologischen Fakultät und die Vielseitigkeit des Studiums haben mich überzeugt, dass ich am richtigen Ort bin. Nach dem Studium stand das Pfarramt erst einmal nicht zur Debatte. Den Zugang zur Kirche hatte ich noch nicht gefunden. Aber nach 13 Jahren in anderen Branchen stellte sich eine gewisse Unzufriedenheit ein. Ich gab dem Vikariat eine Chance, sah es als eine Art Sabbatical an, um mir klar zu werden, wohin mein Weg mich führen soll. In dieser Zeit erlebte ich die Kirche als sehr offen und liberal, sie hat mich willkommen geheissen. Ich bin quasi ein «gelernter Christ».

Erst in der Wirtschaft, später im Pfarramt

Dominik Zehnder, 60, wuchs in Langnau am Albis und Embrach auf und ist seit 2011 reformierter Pfarrer in Bülach. Nach seinem Theologiestudium in Zürich und Rom arbeitete er mehrere Jahre im Bereich Kadervermittlung. Zudem war er beim Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (Heks) für Projekte im Inland tätig. Nach 13 Jahren in der freien Wirtschaft und im Non-Profit-Bereich entschied sich Zehnder für ein Vikariat und dann 2008 für den Einstieg ins Pfarramt. Seit 2010 ist er zudem im Dekanat im Bezirk Bülach und in verschiedenen Vereinsvorständen tätig. Von 2013 bis 2023 war er Mitglied der Kirchensynode. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern im Teenageralter.

In der Medienmitteilung zur Kandidatur steht explizit, Sie sehen sich auch als Vertreter der Mitglieder, die der Kirche weniger verbunden sind. Wie wollen Sie diese Klientel, die angesichts des Mitgliederschwundes enorm wichtig ist, für die Kirche begeistern?

Hätte ich hierzu ein Patentrezept, ich wäre wohl ein gefragter Mann, auch im Ausland. Denn vom Mitgliederschwund sind auch die Kirchen in anderen europäischen Ländern betroffen. Ihm liegen übergreifende Trends zu Grunde: Die demografische Entwicklung, die Individualisierung und die Digitalisierung der Gesellschaft, um nur einige anzusprechen. Dagegen anzukämpfen ist eine Herkulesaufgabe. Ich glaube, wir müssen offen sein, verschiedenes probieren, Rückschläge einstecken und dann neue Versuche wagen. Einiges liesse sich vom Ausland lernen, ich denke da beispielsweise etwa an «fresh expressions». Das Innovationskonzept unserer Kirche kann dazu ebenfalls einen Beitrag leisten. Entscheidend ist auch, dass wir schnell und flexibel reagieren.

Immer wieder wird argumentiert, kirchenferne Menschen liessen sich beispielsweise mit dem Thema Ökologie gewinnen. Können Sie konkrete Beispiele für Themenbereiche nennen? 

Ich denke weniger an Projekte im Bereich Umweltschutz, obwohl ich selbst seit 30 Jahren Mitglied der Grünen bin. Ein Thema wäre die Vereinzelung und die Einsamkeit der Menschen. Hier kann und muss die Kirche Antworten finden und Unterstützung, eine Gemeinschaft bieten. Denn mit diesem Thema sind wir sehr nah dran am Menschen. Beim Umweltschutz kann es schnell darum gehen, anderen Menschen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben. Das widerspricht meinem liberalen Herz.

Apropos liberal: Warum sind Sie in der liberalen Fraktion daheim?

Ich war immer ein liberaler Mensch, auch von meiner theologischen Ausrichtung. Freiheit ist für mich ein wichtiger Wert. Ich möchte, dass unsere Kirche eine offene Kirche ist, die Platz für verschiedene Formen von Glauben bietet, für verschiedene Überzeugungen und Meinungen darüber, was Kirche ist. Gleichzeitig möchte ich, im Rahmen der Kirche Möglichkeiten finden, in die gleiche Richtung zu gehen, auch wenn man unterschiedliche Meinungen hat. Dafür braucht es Austausch und Dialog. Gemeinsame, umsetzbare Lösungen - das bedeutet für mich liberal sein – in der Kirche und auch in der Fraktion.

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