Recherche 03. November 2023, von Felix Reich

«Der Glaube muss mit dem Leben verbunden sein»

Kirche

Franco Sorbara kandidiert für die Evangelisch-kirchliche Fraktion für den Zürcher Kirchenrat. Er benennt blinde Flecken der Kirchenpolitik und öffnet seinen theologischen Schrank.

Warum wollen Sie Kirchenrat werden?

Meine Fraktion hat in der Synode viele Sitze gewonnen und ist zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen. Da war für mich klar, dass der Verteilschlüssel im Kirchenrat neu definiert werden muss. Ich wurde von unserer Findungskommission angefragt. Ich bin überzeugt, meine in meiner Arbeit im Pfarramt erworbenen Erfahrungen und Kompetenzen im Kirchenrat gut einbringen zu können. Als Synodaler musste ich in den letzten Jahren feststellen, dass gewisse Themen vernachlässigt oder zumindest sehr unbefriedigend angegangen werden, die für die Kirche eigentlich wichtig wären.

Von welchen blinden Flecken sprechen Sie?

Zu wenig beachtet wird, an welchen Orten sich die Kirche weiterentwickelt. Wir sind in einem Umbruch. Wir sind im Narrativ der kleiner, ärmer und älter werdenden Kirche gefangen. Mir fehlt der positive Ausblick. Vom Kirchenrat erwarte stärkere Impulse für eine Aufbruchstimmung, die Mut macht.

Geht das jüngst lancierte Innovationskonzept in die richtige Richtung?

Grundsätzlich ja. Mir sind die bürokratischen Hürden für Innovationsprojekte aber zu hoch. Zudem ist das Konzept inhaltlich zu beschränkt. Es hat allein Menschen im Blick, die bisher wenig bis nichts mit der Kirche zu tun hatten und will diese auch nicht näher an die Gemeinde und den Gottesdienst heranführen. Wenn es nicht darum geht, Menschen vermehrt ins kirchliche Leben zu integrieren, frage ich mich, weshalb die Kirche dann überhaupt auf Innovationen setzt. Natürlich kann es nicht darum gehen, Menschen zu vergemeinschaften. Aber zumindest als einladende Kirche sollten wir auftreten und positiv vom Gemeindeleben und vom Gottesdienst erzählen.

Franco Sorbara (51)

Der Pfarrer Franco Sorbara ist seit 2011 in der Kirchgemeinde Zürich-Hirzenbach tätig. Die Quartiergemeinde hat sich genauso wie Witikon nicht der fusionierten Kirchgemeinde Zürich angeschlossen und ist selbständig geblieben. Sorbara war zuvor als Pfarrer in Cham (ZG) und Religionslehrer tätig. Sechs Jahre arbeitete er auch als Lastwagenchauffeur. Seit 2015 ist er Mitglied der Zürcher Kirchensynode, er gehört der Evangelisch-kirchlichen Fraktion an. 

Sie sind Pfarrer in Zürich-Hirzenbach. Die Gemeinde hat sich der fusionierten Kirchgemeinde Zürich nicht angeschlossen. Sind Sie ein Fusionsskeptiker?

Aufgrund meiner Erfahrungen in meinem Herkunftsland Deutschland, den Erkenntnissen aus meiner Zeit, als ich in England für die anglikanische Kirche tätig war, und auch aufgrund der Arbeit in Hirzenbach komme ich zur Überzeugung, dass Fusionen kein Allheilmittel sind. Grosse Gemeinden mit mehreren Gottesdienstorten werden für die Mitglieder schnell unübersichtlich. Die Vernetzungsarbeit wird mit einer grossen Zahl an Mitarbeitenden zu aufwändig. Wenn kleine Gemeinden fusionieren, weil sie kaum mehr überlebensfähig sind, ist das sicher richtig, aber ich glaube nicht, dass die Förderung von Fusionen der richtige Weg ist. 

Ihre Fraktion nominiert Sie ganz bewusst als Pfarrer. Welche Theologie, die im Kirchenrat offensichtlich fehlt, bringen Sie ein?

Vielleicht fehlt mein Profil tatsächlich im Kirchenrat, doch ich tue mich schwer mit theologischen Schubladen. 

Sie dürfen auch mehrere Schubladen öffnen oder einen ganzen Schrank.

In meinem theologischen Schrank ist sicher das drin, was man einmal die biblische Theologie genannt hat. Das bedeutet, dass ich wohlwollend an die biblischen Texte herangehe und nur dann davon abweiche, wenn das Verstehen wirklich schwierig wird. Geprägt bin ich von meiner Herkunft her vom Pietismus. Hinzu kommen unterschiedliche Einflüsse wie etwa aus der anglikanischen Kirche. Am wichtigsten ist mir, dass Theologie und Glaube mit dem Leben verbunden bleiben.

Interviewserie vor den Wahlen

Bis zu den Wahlen veröffentlicht «reformiert.» Interviews mit allen Kandidatinnen und Kandidaten für den Zürcher Kirchenrat und das vollamtliche Kirchenratspräsidium. Kirchenratspräsident Michel Müller tritt nach zwölf Jahren im Amt nicht mehr an. Die Kräfteverhältnisse in der Synode sind ziemlich ausgeglichen. Die Liberale Fraktion ist mit 34 Mandaten die stärkste Kraft, dahinter folgt die Evangelisch-kirchliche Fraktion mit 32 Sitzen. Die Religiös-soziale Fraktion zählt 28 Mitglieder, mit 27 Sitzen auf den letzten Platz abgerutscht ist der Synodalverein. Die Synode wählt Kirchenrat und Präsidium am 21. November.

Soll der Glaube das Leben der einzelnen Menschen prägen oder auch die Gesellschaft?

Zuerst soll der Glaube Einfluss haben auf das Leben der einzelnen Menschen und das Zusammenleben in einer Kirchgemeinde prägen. Wenn Menschen gemeinsam unterwegs sind im Glauben, hat das natürlich Auswirkungen auf die Welt, weil eine Gemeinde auch soziale Werke unterstützt und sich für die Gemeinschaft engagiert. Entscheidend ist aber, dass das soziale Engagement verflochten ist mit dem Glauben. Dass wir in der Kirche uns also nicht engagieren, weil wir halt sozial sind, sondern weil wir glauben, was im Evangelium steht. 

Sollte Ihre Fraktion einen zweiten Sitz erhalten, wird die bisherige Zauberformel gesprengt. Liberale, Religiös-Soziale und Synodalverein schicken aber alle auch zwei Kandidaturen ins Rennen. Wen greifen Sie an?

Wir sind nicht im Angriffsmodus. Wir haben uns gerade deshalb für eine zweite Kandidatur entschieden, weil vieles offen ist. Die Synode hat jetzt die Chance, die Kräfteverhältnisse im Kirchenrat der neuen Realität anzupassen, ohne amtierende Mitglieder nicht mehr zu wählen. 

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