Ein wenig Frust mischt sich in den Abschied. «Alle Aufsichtsorgane bestätigen, dass es sehr gut läuft, nur die Synode muss Probleme schaffen, um sich zu beschäftigen», sagt Michel Müller. Dass Mitglieder des Kirchenrats ohne «stichhaltige Gründe» bei den baldigen Wahlen herausgefordert oder von ihrer Fraktion erst gar nicht mehr nominiert würden, bringe Unruhe ins System, sagt der Kirchenratspräsident. «Die Synode riskiert so den Verlust von Kompetenz und Erfahrung.»
Der Dialog als Mission
Michel Müller gibt das Kirchenratspräsidium nach zwölf Jahren ab. Die Zürcher Landeskirche sieht er gut aufgestellt. Wichtig sei, dass sie den Spielraum für Innovationen nutze.
Selbstkritik ist für Michel Müller Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der reformierten Kirche. (Foto: Roland Tännler)
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Im Handeln frei bleiben
Auch Müller selbst sah sich mit Gegenkandidaturen konfrontiert, nachdem er angekündigt hatte, für zwei weitere Jahre im Amt bleiben zu wollen. Inzwischen hat er seine Kandidatur für eine vierte Amtszeit zurückgezogen und wechselt in ein Pfarramt im Kanton Luzern.
Auf seine Amtszeit blickt Müller mit Genugtuung und einem Anflug von Staunen darüber zurück, dass von der gewonnenen Abstimmung über die juristische Kirchensteuer bis zur Pandemie derart viel Platz hatte. 2011 startete er, indem er die umfangreiche Strukturreform anstiess. Von ambitionierten Zielen musste er sich zwar verabschieden, doch viele Kirchgemeinden haben fusioniert. Ihm war wichtig, dass sich die Kirche verändert, «solange Spielraum für Innovation bleibt und nicht der Sparzwang regiert».
Die Deutungshoheit abgegeben
Müller liess die Theologie meistens aussen vor, wenn er für seine kirchenpolitischen Anliegen warb. Er spricht von der «Entgeistlichung des Amts», diese habe eine «religiös verbrämte Argumentation» verhindert. Der Preis dafür war, dass Müller zuweilen dafür kritisiert wurde, zu viel über die Verpackung und zu wenig über den Inhalt zu reden.
Ein inhaltlicher Meilenstein der letzten zwölf Jahre war das Reformationsjubiläum. Die Kirche habe die Deutungshoheit abgegeben: «Sie sagte nicht einfach, was Reformation ist.» Die Vielfalt und Dezentralisierung der Veranstaltungen sowie die Zusammenarbeit mit dem Kanton bezeichnet Müller als Erfolgsfaktoren des Jubiläums. Ohnehin spürt er ein vitales Interesse an der Kirche, gerade weil das Verhältnis zum Kanton erfolgreich entflochten wurde. «Nun sind wir kein Anhängsel, sondern ein Gegenüber für den Staat.»
Keine Parolen
Ihre gesellschaftliche Rolle müsse die Kirche immer wieder neu finden. «Evangelisation bedeutet heute Dialog», sagte Müller denn auch im Januar 2019 im Grossmünster, als das Zürcher Reformationsjubiläum mit einem ökumenisch gestalteten Gottesdienst eingeläutet wurde.
Weil er auf Dialog statt Belehrung setzt, ist Müller skeptisch gegenüber politischen Parolen. Dennoch setzte er sich mit grossem Engagement für die Ehe für alle ein, den Ökumenischen Rat der Kirchen kritisierte er scharf für sein Festhalten an der Zusammenarbeit mit der russisch-orthodoxen Kirche.
Aufräumen statt belehren
Für Müller keineswegs ein Widerspruch, weil «die Kirche zuerst bei sich aufräumen muss». Sie habe Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, und für Kriegsrhetorik dürfe sie sich nie einspannen lassen. «Was die Kirche verkündigt, muss sie auch leben.»
Als Pfarrer freut sich Müller nun, «vermehrt mit konkreten Lebensfragen» zu tun zu haben. Erstmals in seiner Laufbahn übernimmt er ein Einzelpfarramt. Doch ein Teamplayer werde er bleiben.