Recherche 06. November 2023, von Sandra Hohendahl-Tesch

«Ich wünsche mir eine Kirche, die aktiv gestaltet»

Kirchenratswahl

Pfarrer Thomas Villwock kandidiert für den Zürcher Kirchenrat. Die Kirche soll alle Leute mit ihren verschiedenen Bedürfnissen nach Religiosität und Frömmigkeit willkommen heissen.

Am 19. Oktober überraschte der Synodalverein mit Ihrer Kandidatur. Warum wollen Sie Kirchenrat werden?

Ich würde das nicht Überraschung nennen. Nachdem Michel Müller seine Kandidatur zurückgezogen hatte, haben sicher die meisten der Synodalen damit gerechnet, dass der Synodalverein seinen zweiten Sitz im Kirchenrat nicht einfach so aufgeben wird. Als Kirchenrat möchte ich mich für die Landeskirche einsetzen und Verantwortung mindestens für die nächsten vier Jahre übernehmen. Man kann wohl sagen, dass die Kirche derzeit etwas unter Druck steht. Ich möchte dazu beitragen, dass sie auch weiterhin ein starker Akteur in der Gesellschaft und im Kanton Zürich bleibt.

Welche Erfahrungen können Sie hierfür einbringen?

Ich kenne die Situation sowohl von kleineren ländlichen als auch grösseren Kirchgemeinden und der Agglomeration mit ihren unterschiedlichen Herausforderungen. Bevor ich Pfarrer in Horgen wurde, war ich acht Jahre lang in der kleineren fusionierten Kirchgemeinde Schönenberg-Hütten tätig. Ich habe erlebt, wie effizient in einer solchen Kirchgemeinde mit den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen gearbeitet wird. Diese Erfahrungen möchte ich unter anderem vermittelnd einbringen.

Warum sind Sie gerade im Synodalverein?

Meine Beobachtung in der Kirchensynode ist, und das zeigen auch die Stimmverteilungen vergangener Abstimmungen, dass die Fraktionszugehörigkeit nicht ausschlaggebend ist. Meines Erachtens sind in allen Fraktionen verantwortungsbewusste Personen, die das Beste für die Landeskirche und die ihr anvertrauten Menschen wollen. Mich hat im Synodalverein immer überzeugt, dass dort ein lösungsorientierter Ansatz verfolgt wird und innerhalb der Fraktion bereits das oft vielfältige Stimmungsbild der Synode bereits abgebildet ist. Das Denken in Ideologien scheint mir für eine Kirche für alle, die wir in Zukunft mehr denn je sein müssen, nicht das Gebotene zu sein.

Thomas Villwock (51)

Der gebürtige Baden-Württemberger ist verheiratet und Vater zweier Töchter. Nach ersten Erfahrungen im Pfarramt in Süddeutschland kam Villwock 2014 in die Schweiz. Nach acht Jahren in der fusionierten Kirchgemeinde Schönenberg-Hütten ist er seit 2022 Pfarrer in Horgen. Neben dem Pfarramt engagiert er sich für die Zürcher Konfnacht und ist Regionalleiter in der Notfallseelsorge. Seit 2019 ist er Mitglied der Synode und im Synodalverein.

Gemäss Zauberformel hätte der Synodalverein als kleinste Fraktion der Synode lediglich auf einen Sitz im Kirchenrat Anspruch...

Die Anzahl der Sitze der vier Fraktionen sind in dieser Legislatur ziemlich ausgeglichen. Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Das verspricht gute Diskussionen in den Kommissionen und in den Sitzungen der Synode. Ich bin überzeugt, dass die Konkordanz im Kirchenrat auch dann gewährleistet ist, sollte der Synodalverein als numerisch kleinste Fraktion weiterhin mit zwei Sitzen vertreten sein. Letztlich werden die Synodalen entscheiden müssen, wer für das das Amt geeignet ist. Diesen Personen werden sie die Verantwortung zutrauen und mit ihrem Stimmzettel übertragen.

Inwiefern spielt ihr theologischer Hintergrund bei der Kandidatur eine Rolle?

Ich betrachte es Berufung, dass ich Theologie studiert habe. Dieser bin ich – zumindest legen mir das die Rückmeldungen zu meinem bisherigen Wirken nahe – überwiegend gerecht geworden. Die Landeskirche ist letztlich nicht einfach irgendeine Institution. Viel mehr eine Gemeinschaft von Christinnen und Christen, die in ihrem Tun und Wirken die Welt – wie ich glaube, dass Gott sie sich vorstellt – sichtbar und erlebbar machen möchte. Das muss auch weiterhin das erkennbare Proprium von Kirche sein.

Wie meinen Sie das konkret?

Wir sind eine Volkskirche. Das bedeutet nicht nur, dass ihr einmal die Mehrheit der Bevölkerung angehört hat. Das muss in Zukunft wieder mehr bedeuten, dass in ihr nahezu jeder mit seinem je unterschiedlichen Bedürfnis nach Religiosität und Frömmigkeit willkommen ist und eine kirchliche Heimat findet.

Interviewserie vor den Wahlen

Bis zu den Wahlen veröffentlicht «reformiert.» Interviews mit allen Kandidatinnen und Kandidaten für den Zürcher Kirchenrat und das vollamtliche Kirchenratspräsidium. Kirchenratspräsident Michel Müller tritt nach zwölf Jahren im Amt nicht mehr an. Die Kräfteverhältnisse in der Synode sind ziemlich ausgeglichen. Die Liberale Fraktion ist mit 34 Mandaten die stärkste Kraft, dahinter folgt die Evangelisch-kirchliche Fraktion mit 32 Sitzen. Die Religiös-soziale Fraktion zählt 28 Mitglieder, mit 27 Sitzen auf den letzten Platz abgerutscht ist der Synodalverein. Die Synode wählt Kirchenrat und Präsidium am 21. November.

Sie sind auch in der Notfallseelsorge tätig, wie hat diese Tätigkeit ihre Lebensauffassung geprägt?

In der Notfallseelsorge begegne ich Menschen, die aus ihrem Alltag gerissen wurden und sich in einer Ausnahmesituationen befinden. Ich versuche dann, für sie da zu sein und sie zu ermutigen, einen ersten Schritt zurück in so etwas wie einen Alltag zu finden. Das hat für mich vor allem etwas mit Menschenfreundlichkeit und -zugewandtheit zu tun. Für mich ist diese nicht zuletzt theologisch motiviert. Ich schätze immer wieder, wie gross in solchen Situationen das Vertrauen in Kirche und in Personen der Notfallseelsorge ist.

Wo liegt ihrer Meinung nach der grösste Handlungsbedarf in den nächsten vier Jahren?

In einer Gesellschaft, die sich sehr individualisiert, bleibt es eine Herausforderung, dass sich die Mitglieder der Landeskirche vor allem mit ihrer Kirchgemeinde vor Ort oder an dem von ihnen bewusst aufgesuchten Ort identifizieren und eine starke Zugehörigkeit spüren. Wenn das wieder etwas mehr gelingt, wird auch die Herausforderung zu bewältigen sein, dass Kirche als Stimme in der und für die Gesellschaft weiterhin wahrgenommen wird und ihre Bedeutung hat. Ich wünsche mir eine Kirche, die aktiv gestaltet. Das wird die Voraussetzung sein, dass auch die finanziellen Herausforderungen einer sich verändernden Kirche angegangen werden können.

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