«Bewährtes bewahren und Neues wagen»

Kirchenratswahl

Kirchenrätin Margrit Hugentobler sagt, weshalb sie eine weitere Amtszeit in der Exekutive bleiben will und welche Herausforderungen auf die Zürcher Landeskirche zukommen werden.

2019 wurden Sie für den Synodalverein in den Kirchenrat gewählt, wo Sie seit drei Jahren das Ressort Gemeinde und Region inne haben. In einem Satz: Was motiviert Sie dazu, erneut zu kandidieren?

Mein Hauptanliegen liegt darin, die Strahlkraft und den diakonischen Auftrag, den wir als Kirche und Kirchgemeinden für unsere Gesellschaft durch die Vermittlung des Evangeliums haben, weiter zu fördern.

Das Vorantreiben des Reformprozesses Kirchgemeindeplus lag Ihnen schon als Synodale besonders am Herzen. In den letzten vier Jahren haben zahlreiche Kirchgemeinden fusioniert; in der Stadt Zürich ist aus 32 Kirchgemeinden eine einzige geworden. Sind Sie zufrieden?

Es erfüllt mich mit Freude zu sehen, wie viele Kirchgemeinden sich bewegt haben und sich hoffentlich besser auf die Zukunft vorbereiten. Dies ist besonders wichtig, da in Zukunft ein Mangel an Finanzen und Personal, sowohl in Bezug auf Behördenmitglieder als auch freiwillige und angestellte Mitarbeiter, droht. Bisher wurde noch nicht ausreichend Energie in die inhaltliche Entwicklung der neuen Kirchgemeindestrukturen investiert, da in der kurzen Zeit wenig Kapazität dafür zur Verfügung stand. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass sich dies in Zukunft ändern kann.

Was hat sich dank der Fusionen zum Besseren entwickelt?

Gemeindeglieder aus Gemeinden, die eigentlich in naher Zukunft aufgelöst worden wären, haben miteinander Anschluss gefunden. Dies ermöglicht es ihnen, von gemeinsamen Angeboten zu profitieren und ihren Auftrag in ihren jeweiligen Wirkungsbereichen weiterhin wahrzunehmen. Das gegenseitige Kennenlernen hat an vielen Orten den Horizont erweitert und eine neue Offenheit geschaffen.

Haben sich im Zuge des Reformprozess auch Probleme ergeben, mit denen Sie nicht gerechnet haben?

Sicherlich hatte niemand die Corona-Pandemie auf dem Schirm. Diese Pandemie hat einerseits bestimmte Aktivitäten unmöglich gemacht, wie persönliche Treffen und wichtige Absprachen, und die Zusammenarbeit erschwert, gerade dort, wo Menschen sich gerne persönlich kennengelernt hätten. Andererseits hat sie auch neue Möglichkeiten eröffnet und Menschen auf innovative Weisen enger zusammengeführt.

Und von der Pandemie unabhängig?

Die grosse Vielfalt der Zusammenschlüsse von Kirchgemeinden, die in unterschiedlichen Grössen existieren, stellte eine weitere Herausforderung dar. Als Landeskirche muss man Bedingungen für den gesamten Kanton schaffen und dabei gerecht handeln. Wenn es so viele verschiedene Bedingungen gibt, wird dies komplexer, aber das ist nun mal das Wesen des Lebens – nichts ist vollständig planbar, insbesondere in Kirchgemeindestrukturen in Zürich, die sich ständig verändern.

Margrit Hugentobler

Geboren 1962 in Zürich, verheiratet und Mutter von drei Kindern. Nach einer Berufslehre als Verkäuferin und Kinderpflegerin folgte eine Ausbildung zur Kauffrau mit Schwerpunkt Dienstleistung und Administration. Später absolvierte Hugentobler ein Studium am Theologischen Seminar TSC in St. Chrischona / Basel. Sie ist Kirchgemeindeverwalterin in der Kirchgemeinde Illnau-Effretikon, wo sie lange auch die Kirchenpflege präsidierte. Vor ihrer Wahl zur Kirchenrätin im Jahr 2019 war sie mehrere Jahre Mitglied der Kirchensynode und leitete zuletzt die Finanzkommission.

Als ehemalige Präsidentin der Finanzkommission engagierten Sie sich für die Teilrevision der Kirchenordnung. Eines Ihrer Hauptanliegen war 2018, passivere Mitglieder stärker in die kirchlichen Aktivitäten einzubeziehen. Ist das Ihrer Meinung nach gelungen?

Eher nein, und nur an wenigen Orten punktuell. Dies ist ein gesellschaftlicher Trend, unter dem alle Institutionen, Vereine und Parteien leiden, und er erfordert starke Gegenkräfte. Dennoch glaube ich, dass wir als Christinnen und Christen weiterhin gefordert sind, das Leben zu teilen und auf Gottes Gegenwart aufmerksam zu machen.

Die Änderungen in Bezug auf Kasualien, wie Hochzeiten und Abdankungen, ermöglichen Pfarrern nun, ausserhalb der Kirche zu trauen und zu bestatten. Hat sich dies bewährt, wird davon rege Gebrauch gemacht?

Aus meinen Beobachtungen heraus hat sich diese Änderung sehr bewährt und es wird in massvoller Weise davon Gebrauch gemacht von der Pfarrschaft.

Die Neuordnung der Pfarrstellenzuteilung ist eine der umstrittensten Neuerungen in der Teilrevision der Kirchenordnung, kleinere Kirchgemeinden befürchteten, zur Fusion gedrängt zu werden. Halten Sie auch in Zukunft daran fest, dass auch kleinste Kirchgemeinden ein Pfarrstellenpensum von 50 Prozent zugute haben?

Ja, wir werden an der Regel festhalten, dass auch kleinste Kirchgemeinden ein Pfarrstellenpensum von 50 Prozent haben. Dieser Schritt wird beibehalten, da der politische Aufwand, den eine Änderung der Kirchenordnung erfordern würde, sich nicht für die verbleibenden wenigen "Kleinstgemeinden" rechtfertigen würde.

Was unternimmt der Kirchenrat gegen den sich abzeichnenden Pfarrmangel?

Der Kirchenrat ergreift Massnahmen, um dem drohenden Pfarrmangel entgegenzuwirken. Dazu gehört die Überarbeitung der Pfarrerausbildung, die Schaffung von Möglichkeiten für eine verlängerte Dienstzeit der Pfarrerschaft und die Beibehaltung guter Arbeitsbedingungen, um Pfarrer an ihren Arbeitsorten zu halten.

Interviewserie vor den Wahlen

Bis zu den Wahlen veröffentlicht «reformiert.» Interviews mit allen Kandidatinnen und Kandidaten für den Zürcher Kirchenrat und das vollamtliche Kirchenratspräsidium. Kirchenratspräsident Michel Müller tritt nach zwölf Jahren im Amt nicht mehr an. Die Kräfteverhältnisse in der Synode sind ziemlich ausgeglichen. Die Liberale Fraktion ist mit 34 Mandaten die stärkste Kraft, dahinter folgt die Evangelisch-kirchliche Fraktion mit 32 Sitzen. Die Religiös-soziale Fraktion zählt 28 Mitglieder, mit 27 Sitzen auf den letzten Platz abgerutscht ist der Synodalverein. Die Synode wählt Kirchenrat und Präsidium am 21. November.

An der konstituierenden Sitzung vom 3. Oktober ist der Synodalverein zur kleinsten Fraktion in der Synode geworden. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe hierfür?

Die Verluste des Synodalvereins haben verschiedene Gründe: Der gleichzeitige Abgang von langjährigen Mitgliedern, die unklare Präsidienvakanz in der Fraktion und möglicherweise eine unzureichende Rekrutierung neuer Synodaler. Dies führte dazu, dass der Synodalverein nun die schwächste Fraktion ist. Neue Strategien zur Stärkung der Fraktion könnten notwendig sein.

Nun hat der Synodalverein neben Ihnen als bestehende Kirchenrätin den Pfarrer Thomas Villwock als Kirchenratskandidat nominiert. Damit rüttelt er an der traditionellen Zauberformel, wonach die kleinste Fraktion in der Synode nur noch Anrecht auf einen Sitz hat. Wie rechtfertigen Sie das?

Die Fraktionsstärken sind nicht erheblich voneinander entfernt, und bei den letzten Wahlen wurden auch fraktionslose Kandidaten aufgestellt. Die Wahl in den Kirchenrat ist eher eine Persönlichkeitswahl, und ich hoffe, dass unser zweiter Kandidat ein gutes Ergebnis erzielt und gewählt wird. Ich finde, dass ein Theologe gut zu mir als Nicht-Theologin passen würde.

Wo sehen Sie die reformierte Landeskirche in 20 Jahren?

In 20 Jahren sehe ich die reformierte Landeskirche als eine neuorganisierte Institution, die sich sowohl digital als auch physisch erfolgreich etabliert hat. Sie wird sich auf Nischen fokussiert haben, in denen sie das Evangelium in einer zeitgemäßen Weise predigt und lebt, nah bei den Menschen in einer vielfältigen Gesellschaft. Die Kirche als alte Institution muss Bewährtes bewahren und Neues wagen, sich an die sich ändernden Bedürfnisse und Erwartungen anpassen ohne ihre Traditionen aufzugeben.

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