«Die Kirche wird kleiner sein, aber im Kern stark»

Kirchenratswahl

Bis jetzt hat Eva Schwendimann im Kirchgemeindeparlament Zürich politisiert. Nun möchte sie in der Exekutive der Zürcher Landeskirche die Zukunft mitgestalten, nahe an der Basis.

Warum wollen Sie Kirchenrätin werden?

Ich bin reformiert aufgewachsen, mit dem vollen Programm von Sonntagsschule bis Konfirmation. Seit über 15 Jahren engagiere ich mich: begonnen mit der kirchlichen Jugendarbeit, mit achtzehn Jahren in einer Pfarrwahlkommission und nun seit zwei Jahren als Mitglied des Kirchgemeindeparlaments Zürich und ganz praktisch in der Mosaic Church Zürich. Die reformierte Kirche ist für mich Heimat und deren Zukunft liegt mir am Herzen. Der Kirchenrat arbeitet strategisch und legt die Weichen für die kommenden Jahre fest. Ich bin ein strategisch denkender Mensch und möchte mich darum hier einbringen.

Was bringen Sie mit?

Ich bin Juristin und habe einen Bachelor in Theologie. Ich bin eine Beobachterin und erfasse Dinge schnell. So habe ich gelernt, dass es oft Sinn macht, sich zuerst einen Überblick zu verschaffen und verschiedene Perspektiven einzuholen. Entsprechend bilde ich meine Meinung im Dialog. Ich denke, dass ich mit meinem theologisch-kirchlichen und juristischen Know-how sowie meiner konstruktiven Art viel mitbringe für das Amt als Kirchenrätin.

Seit 2022 sind Sie Mitglied des Parlaments der reformierten Kirchgemeinde der Stadt Zürich. Und dort Vizepräsidentin der Rechnungs- und Geschäftsprüfungskommission. Mit was waren Sie bisher befasst?

Weil ich in der RPGK bin, waren das viele Finanzthemen. Zum Beispiel, wie wir mit Liegenschaften umgehen wollen, wie diese diakonisch genutzt werden und den Menschen dienen können. Und ganz grundsätzlich die Frage, wie wir die Finanzen gerade in Anbetracht des Mitgliederschwunds nachhaltig einsetzen. Seit der Grossfusion von 2019 zur Kirchgemeinde Stadt Zürich ist das Parlament auch immer noch mit organisatorischen Fragen beschäftigt.

Wären Sie im Kirchenrat nicht viel weiter weg von den Menschen als in der Legislative der Kirchgemeinde Zürich? Interessiert Sie die Basis nicht mehr?

Basis und Kirchenrat schliessen sich gegenseitig nicht aus. Im Gegenteil. Das eine bedingt das andere. Ich bin aktives Mitglied der Mosaic Church Zürich und werde das auch bleiben. Im jahrelangen freiwilligen Engagement für die reformierte Kirche habe ich erlebt, dass ich mit meiner Fähigkeit, ganzheitlich, strategisch und analytisch zu denken, viel bewirken kann. Nun möchte ich diese auf kantonaler Ebene einsetzen, wo die grossen Linien festgelegt werden, die dann auch Konsequenzen an der Basis haben - das mit Freude, Engagement und auch einer Prise Humor.

Eva Schwendimann

Die 31-jährige Juristin arbeitet als Lehrperson für Wirtschaft und Recht an der Kantonsschule Baden. Sie hat Rechtswissenschaft studiert und einen Bachelor in Theologie gemacht an der Theologischen Hochschule Basel STH. Seit 2022 ist sie Mitglied des Parlaments der reformierten Kirchgemeinde Zürich und dort Vizepräsidentin der Rechnungs- und Geschäftsprüfungskommission.

Sie haben erlebt, dass Fusionen nicht einfach sind. Auch der Kirchenrat setzt auf Fusionen im Kanton. Was halten Sie davon?

Ich habe die letzten Jahre das Potenzial und die Schwierigkeiten einer Grossfusion gesehen. Es ist immer ein Abwägen und hängt von der jeweiligen Situation ab. Es gibt kein Patentrezept. Eine Kirchgemeinde auf dem Land hat andere Bedürfnisse als beispielsweise die Kirchgemeinde der Stadt Zürich. Fusionen bieten durchaus Potenzial. Aber sie brauchen viel Zeit und sind herausfordernd. Und ganz wichtig: Sie können nur im intensiven Dialog mit den betroffenen Gemeinden vor Ort erfolgreich sein.

Bevor Sie Lehrerin für Wirtschaft und Recht an der Kantonsschule Baden wurden, waren sie Mitglied der Geschäftsleitung der Executive Education der Universität Zürich. Was haben Sie da gemacht?

Die Executive Education ist ein Zusammenschluss der wirtschaftswissenschaftlichen Weiterbildungsprogrammen der Universität Zürich. Der Weiterbildungsmarkt ist hart umkämpft. Um konkurrenzfähig zu bleiben, haben wir verschiedene Programme zu einer Organisationseinheit zusammengeschlossen. Diesen Zusammenschluss habe ich als Geschäftsleitungsmitglied aktiv mitgestaltet – sowohl hinsichtlich der Organisationsstrukturen als auch in der Strategieentwicklung. Das war eine grosse Herausforderung – wir haben viele Gespräche geführt und die Ängste und Nöte der Mitarbeitenden ernstgenommen. Dort habe ich gelernt, wie wichtig gute Kommunikation und Zuhören sind, damit solche Umstrukturierungsprozesse von den Mitarbeitenden mitgetragen werden.

Als Gymnasiallehrerin sind Sie automatisch mit jungen Leuten zusammen. Kann die Kirche diese Generation überhaupt noch erreichen?

Der Austausch mit jungen Menschen ist inspirierend und erfrischend. Die Generation Z interessiert sich durchaus für Themen, die auch die Kirchen beschäftigen. Sie kommunizieren sie einfach anders. Sie suchen nach einem Sinn in dem, was sie tun. Die Frage ist vor allem, wie wir sie erreichen können. Bringen sie Wünsche und Ideen ein, müssen diese zügig umgesetzt werden, sonst sind sie wieder weg. Das trifft nicht nur für junge Menschen zu, sondern für viele Milieus, die über bestimmte Projekte wieder Zugang zur Kirche finden könnten.

Interviewserie vor den Wahlen

Bis zu den Wahlen veröffentlicht «reformiert.» Interviews mit allen Kandidatinnen und Kandidaten für den Zürcher Kirchenrat und das vollamtliche Kirchenratspräsidium. Kirchenratspräsident Michel Müller tritt nach zwölf Jahren im Amt nicht mehr an. Die Kräfteverhältnisse in der Synode sind ziemlich ausgeglichen. Die Liberale Fraktion ist mit 34 Mandaten die stärkste Kraft, dahinter folgt die Evangelisch-kirchliche Fraktion mit 32 Sitzen. Die Religiös-soziale Fraktion zählt 28 Mitglieder, mit 27 Sitzen auf den letzten Platz abgerutscht ist der Synodalverein. Die Synode wählt Kirchenrat und Präsidium am 21. November. 

Für welches Ressort im Kirchenrat interessieren Sie sich?

Ich bin offen für alle Ressorts. Mein Lieblingsressort wäre aber Bildung und Theologie. Ich habe Theologie studiert und arbeite im Bildungsbereich – das würde passen. Es ist mir ein Anliegen, dass wir vermehrt breite theologische Debatten führen. Aber mir ist schon bewusst, dass Bruno Kleeb bisher dieses Ressort innehat. Am Ende konstituiert sich der Kirchenrat als Kollegium.

Die religiös-soziale Fraktion schlägt Sie vor, weil Kirchenrat Bernhard Egg zurücktritt. Er ist Jurist wie Sie und hatte das Ressort Diakonie und Soziales inne. Könnten Sie sich das auch vorstellen?

Ich traue mir zu, mich in verschiedene Ressorts einzuarbeiten und leiten zu können. Letztlich bleibt es ein Entscheid des Gremiums.

Welche Schwerpunkte möchten Sie setzen im Kirchenrat?

Was mir allgemein wichtig ist: Ich möchte immer die Haltung der Gemeinden und der Synode in Erfahrung bringen. Ich sehe die Tätigkeit des Kirchenrats darin, dass er die Fäden von der Basis aufnimmt, zusammenbringt und tragfähige Lösungen sucht. Entscheidungsprozesse müssen transparent gemacht und der Dialog stets geführt werden, auch wenn dies unangenehme Gespräche voraussetzt und kein Konsens gefunden wird.

Sie kandidieren für die religiös-sozialen Fraktion. Warum?

Die religiös-soziale Fraktion passt zu meinen Werten. Sie steht dafür, nahe am Menschen zu sein und die Gemeinden zu stärken. Das heisst zum Beispiel, dass die gesamtkirchlichen Dienste der Basis zuarbeiten und nicht umgekehrt. Im Übrigen hat die religiös-soziale Fraktion die Kandidatur ausgeschrieben. Ich habe mich beworben und wurde nominiert.

Wo sehen Sie die Landeskirche in 20 Jahren?

Das ist ein Blick in die Kristallkugel. Die Kirche wird kleiner sein, ich träume aber von einer im Kern starken Kirche. Schön wäre, wenn sie eine gewisse gesellschaftliche Relevanz behalten könnte. Wir dürfen uns nicht von der Angst lähmen lassen, bedeutungslos zu werden, sondern müssen offen sein für neue Wege und nahe bei den Menschen bleiben.

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