Recherche 21. November 2023, von Felix Reich

«Ich stehe für Kompetenz und Kontinuität»

Kirche

Der Zürcher Kirchenrat Andrea Bianca sagt, wie er die Kirche weiter entwickeln und sein Wissen und seine Erfahrung in die Exekutive einbringen möchte.

Sie kandidieren erneut für den Kirchenrat, obwohl Sie die Liberale Fraktion nicht mehr nominiert hat. Warum?

Andrea Bianca: Zum einen haben mich Mitglieder der Synode und kirchlicher Behörden sowie Mitarbeitende dazu ermutigt. Zum anderen bin ich hochmotiviert. Ich will mich kantonal für eine Kirche einsetzen, die das ganze Spektrum ihrer Mitglieder, insbesondere Passivmitglieder mit einer Austrittsneigung, besser berücksichtigt. Nur dank solchen Mitgliedern existiert unsere Kirche in der jetzigen Grösse und Form.

Sie sind nun 16 Jahre im Kirchenrat. Ist das nicht genug?

Ich sehe meine langjährige Erfahrung in der gegenwärtigen Umbruchsituation als Vorteil. Es wird ein neues Präsidium gewählt und alle Fraktionen stellen neue Kandidierende zur Wahl. Da verkörpere ich Kontinuität und Kompetenz. Ich habe neben der Öffnung der Kasualien die Etablierung unserer Digitalplattform «reflab» und die Erarbeitung des Innovationskonzepts verantwortet. Jetzt gilt es, die Kasual- und Digitalstrategie weiterzuentwickeln und das Konzept umzusetzen.

Der abtretende Kirchenratspräsident Michel Müller sieht die Landeskirche «sehr gut aufgestellt». Teilen Sie diese Analyse?

Wir haben unsere Struktur reformiert und motivierte Mitarbeitende setzen sich für eine zeitgemässe Kirche ein. Aber gemäss einer neuen Studie der Uni Zürich zum Stand der Zürcher Landeskirche nimmt die Bedeutung kirchlicher Verlautbarungen in der Gesellschaft ab und die Nutzung kirchlicher Angebote in der Bevölkerung geht zurück, vor allem bei jüngeren Menschen. Es besteht Handlungsbedarf. Mit meiner Expertise will ich dazu beitragen, die richtigen Massnahmen zu ergreifen.

Andrea Bianca

Seit 2007 ist Andrea Bianca Mitglied des Kirchenrats der reformierten Landeskirche im Kanton Zürich. Der Vizepräsident leitet das Ressort «Mitgliedschaft und Lebenswelten». Seit 1996 ist er Pfarrer in Küsnacht.

Auch die Mitgliederzahlen sinken. Gilt es diesen Niedergang zu akzeptieren und zu antizipieren oder haben Sie Hoffnung, den Trend umzukehren?

Ich bin dankbar, dass viele Menschen Mitglied bleiben, auch wenn sie persönlich kaum von der Kirche profitieren. Das ist unsere Chance. Aber es braucht einen Perspektivenwechsel. Dafür müssen wir unsere Basis, die schweigende Mehrheit, befragen. Welche Vorstellung von Gott haben sie? Welche Form von Gemeinschaft wollen sie? Welche Art von Feiern brauchen sie? Es gilt die Vermittlung christlicher Werte mit den Antworten auf diese Fragen zu verknüpfen. Ich hoffe, dass in der Folge distanzierte Mitglieder unsere Kirche vermehrt als ihre Kirche erleben.

Wie politisch darf die Kirche sein?

Kirchenpolitik darf keine Parteipolitik sein. Wir haben Mitglieder aus allen Parteien. Im kirchenpolitischen Sinn halte ich die soziale Frage jedoch für äusserst relevant. Darum habe ich kürzlich eine Ausbildung in Angewandter Ethik an der Universität Zürich absolviert. Die ethische Aufgabe der Kirche besteht darin, der Gesellschaft einen christlichen Werterahmen für gerechtes Verhalten aufzuzeigen. Die politischen Entscheidungen, die sich daraus ergeben, hat die Kirche aber den Mitgliedern selbst zu überlassen.

Eine fraktionslose Kandidatur gefährdet das kirchenpolitische System. Bisher bildete der Kirchenrat die Stärkeverhältnisse der Fraktionen in der Synode ab.

Die Synodalen habe die Wahl. Sie repräsentieren kirchenpolitisch über die Fraktionen hinaus die Gesamtheit aller Kirchenmitglieder. Ein Fraktionsloser mit Rückhalt in der Kirche als Ganzes kann als Brückenbauer zwischen den Fraktionen eine lösungsorientierte Entscheidungsfindung stärken. Unruhe in den Wahlkampf brachte wohl weniger meine Kandidatur als vielmehr der Anspruch der Evangelisch-kirchlichen Fraktion auf einen zweiten Sitz.

Ist dieser Anspruch nicht legitim? Die EKF ist ja nun zweitstärkste Fraktion.

Ja, er ist legitim. Aber die Unterschiede zwischen den Fraktionsgrössen sind so klein, dass sie keine sichere Grundlage für einen Sitz mehr oder weniger im Kirchenrat sein können. Insofern ist es folgerichtig, dass alle vier Fraktionen mit zwei Kandidierenden antreten. Meine Kandidatur verdeutlicht zusätzlich, dass Exekutivwahlen keine reinen Fraktionswahlen, sondern auch Personenwahlen sind.

Alle Kandidierenden im Interview

Bis zu den Wahlen veröffentlicht «reformiert.» Interviews mit allen Kandidatinnen und Kandidaten für den Zürcher Kirchenrat und das vollamtliche Kirchenratspräsidium. Kirchenratspräsident Michel Müller tritt nach zwölf Jahren im Amt nicht mehr an. Die Kräfteverhältnisse in der Synode sind ziemlich ausgeglichen. Die Liberale Fraktion ist mit 34 Mandaten die stärkste Kraft, dahinter folgt die Evangelisch-kirchliche Fraktion mit 32 Sitzen. Die Religiös-soziale Fraktion zählt 28 Mitglieder, mit 27 Sitzen auf den letzten Platz abgerutscht ist der Synodalverein. Die Synode wählt Kirchenrat und Präsidium am 21. November.

Sie haben sich als Gemeindepfarrer als liberaler Theologe profiliert. Diese Herkunft können Sie doch nun nicht einfach abstreifen.

Meine Herkunft ist vielfältig. Meine Mutter war Lutheranerin und mein Vater Waldenser. Meine Kindheit und Jugend wurden durch eine Freikirche geprägt. Und seit bald 30 Jahren bin ich Pfarrer in einer liberal ausgerichteten Gemeinde. Davon streife ich nichts ab, sondern nutze alles, um besser auf die Biografien und Lebenswelten der Menschen eingehen zu können. Ich will christliche Inhalte und kirchliche Formen für möglichst viele Menschen anschlussfähig machen.

Nach dem Rückzug von Sabrina Müller hat die Liberale Fraktion den Pfarrer Dominik Zehnder nominiert. Er ist Präsident des Christlich Liberalen Clubs. Sie sitzen dort im Vorstand. Mit welchen Gefühlen treten Sie ausgerechnet mit dem Kandidaten jener Fraktion in direkte Konkurrenz, welcher Sie selbst 16 Jahre lang angehört hatten?

Ich lasse mich bei der Wahl nicht von meinen Gefühlen im Blick auf direkte oder indirekte Konkurrenz leiten. In den Motivationsschreiben, Podiumsauftritten und Hearings konnten sich die Synodalen ein eigenes Bild aller Kandidierenden machen. Ich hoffe, ich war als Bisheriger überzeugend genug, um auch ohne Nomination durch die Liberale Fraktion wiedergewählt zu werden.

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