«Die Kirche darf sich jetzt nicht einschüchtern lassen»

Debatte

Das Evangelium will sich einmischen, aber es lässt sich von keiner Partei vereinnahmen, sagt die Pfarrerin und SP-Politikerin Esther Straub.

Die Kirche soll politisch, aber nicht parteipolitisch sein, heisst es oft. Was bedeutet das?

Esther Straub: Das Evangelium will sich einmischen. Aber das Evangelium ist unabhängig. Es kann von keiner Partei vereinnahmt werden. Auch nicht von jener Partei, die das C im Namen trägt.

Sie sind Pfarrerin und Politikerin. Machen Sie eine christliche Politik?

Im politischen Diskurs argumentiere ich nicht religiös. Aber meine Motivation beziehe ich aus dem Glauben. Mich treibt die biblische Botschaft um und deshalb engagiere ich mich politisch.

Kommt Ihnen Politik und Pfarramt zuweilen in die Quere?

Überhaupt nicht. Zürich-Schwamendingen, wo ich Pfarrerin bin, ist zwar ein traditionell linkes Quartier, hat aber auch eine starke SVP. Ein ehemaliger Pfarrkollege hat mich jeweils gehänselt, ich sei die SVP-Pfarrerin im Team, weil ich bei SVP-Wählern gut ankomme. Es ist ein Vorteil, dass die Leute wissen, wo ich politisch stehe. Das führt zur Entspannung.

Kann man rechts wählen und trotzdem ein guter Christ sein?

Ich würde nie jemandem das Christsein absprechen. Etwas anderes ist es, mit rechten Wählern darüber zu streiten, mit welchen politischen Haltungen sich das Evangelium verbinden lässt, und sich gegen Vereinnahmungen der christlichen Botschaft argumentativ zur Wehr zu setzen. Ich käme sicher zu anderen Schlüssen.

Die freisinnige Béatrice Acklin kritisiert, dass die Kirchen oft vom hohen Ross herab der Politik moralische Vorhaltungen machen.

Der Vorwurf ist völlig absurd. Die Kirche argumentiert nicht mit der Moralkeule oder einer höheren Macht. Sie schaltet sich ein, wenn sie glaubt, dass ihre Meinung gefragt ist und sie etwas zu sagen hat, und sie äussert sich so, dass sie mit ihren theologischen Überlegungen im politischen Diskurs verstanden wird. Wenn gewählte kirchliche Gremien oder gewählte Pfarrerinnen und Pfarrer aus wohlüberlegten Gründen zum Schluss kommen, sich politisch zu äussern, sollen sie das tun.

Egal, worum es geht?

Na ja, zum Hundegesetz muss die Kirche vielleicht nicht unbedingt etwas sagen.

Aber zur Migrationspolitik muss sich die Kirche äussern?

Im Migrations- und Asylbereich engagiert sich die Kirche aufgrund ihres biblischen Auftrags mit zahlreichen Projekten. Sie verfügt deshalb auch über viel Erfahrung, da weiss sie Bescheid. Sie darf sich nicht einschüchtern lassen, wenn der CVP-Präsident in seiner Verzweiflung austeilt, weil ihm die Kirchen widersprechen.

Äussern sich die Kirchen denn zu häufig oder sind sie zu zurückhaltend?

Die Kirche sollte sich keine grundsätzlichen Schranken auferlegen. Es gilt immer wieder neu zu diskutieren, ob eine Stellungnahme angezeigt ist. Meist sind es Fragen, bei denen es um den Schutz der Schwachen geht und die Kirche aufgrund ihrer Tätigkeit etwas zu sagen hat.

Und wenn es viele Kirchenmitglieder gibt, die anders denken, ist das egal?

Die reformierte Kirche ist eine demokratisch verfasste Körperschaft von Menschen, die sich vom Evangelium bewegen lassen. Bei einer Stellungnahme behaupten Pfarrpersonen oder der Kirchenrat nicht, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben, sondern sie legen transparent dar, weshalb sie zu dieser Haltung kommen. Diese Überlegungen von Kirchenverantwortlichen zu kennen, kann für Kirchenmitglieder und für Aussenstehende erhellend sein. Was daran problematisch sein soll, ist mir schleierhaft.

Esther Straub

Esther Straub ist Pfarrerin in der reformierten Kirchgemeinde Zürich und Kirchenrätin der reformierten Landeskirche des Kantons Zürich. Für die SP sitzt sie im Zürcher Kantonsrat. Straub studierte in Zürich und Paris Theologie und war Assistentin am Lehrstuhl für Neues Testament der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Sie promovierte mit einer Arbeit zum Johannesevangelium.