Recherche 25. Januar 2017, von Katharina Kilchenmann

Wenn Gottesdiener politisch aktiv werden

Kirche

Mehr Engagement oder mehr Zurückhaltung – sollen Pfarrleute sich in politische Debatten einmischen? Die Meinungen sind geteilt.

Sie sammeln Unterschriften gegen die Masseneinwanderungsinitiative, fordern Niederlassungsfreiheit für alle, befürworten das bedingungslose Grundeinkommen und sind gegen die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten. Pfarrpersonen beziehen immer wieder Stellung zu aktuellen politischen Themen. So auch jüngst bei der Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform III: Der Stadtzürcher Pfarrer Res Peter und Andreas Nufer, Pfarrer an der Heiliggeistkirche in Bern, gründeten ein kirchliches Komitee und sammelten auf ihrer Online-Plattform in Rekordzeit rund 300 Stimmen gegen die Reform.

«Ich bin sehr froh um das Engagement der beiden Kollegen und unterstütze diese Aktion», sagt Sandra Kunz, reformierte Pfarrerin in Trubschachen. Damit stelle man sich gegen eine steuerpolitische Entwicklung, welche die finanziell Schwächeren unserer Gesellschaft trifft. Sie selber sei eher zurückhaltend mit Äusserungen zu politischen Themen. «Ich mache keinen Hehl aus meiner Meinung. Aber ich bin Pfarrerin für alle Kirchenmitglieder, unabhängig von ihrer politischen Couleur.» Ihr Parteibuch sei das Evangelium. Dafür setze sie sich ein. «Und dieses Engagement kann durchaus auch eine politische Note haben.»

Kirche braucht mehr Mut. Andreas Nufer engagiert sich seit Jahrzehnten sowohl als Seelsorger als auch als politischer Mensch. «Als Pfarrer kann ich nicht unpolitisch sein. Wenn ich schweige, erkläre ich mich einverstanden mit der dominierenden Meinung.» Er rede dort mit, wo die Schwachen unter die Räder kommen, wie aktuell bei der Unternehmenssteuerreform: Damit werde das Gemeinwohl geschwächt, und die Starken würden noch stärker. «Aber ich äussere mich nie aus rein politischer, sondern immer auch aus biblisch-theologischer Sicht.» Damit gebe er auch progressiven, urbanen Menschen eine Stimme, die sich oft von der Kirche vernachlässigt fühlten, meint Nufer.

Béatrice Acklin Zimmermann, Theologin und Dozentin an der Universität Fribourg und FDP-Politikerin, sieht das kritisch. «Wenn der grösste Teil der Bevölkerung in Schweizer Städten links-grün ist, ist das, was die Pfarrer vertreten, oft Mainstream.» Anliegen wie Niederlassungsfreiheit für alle seien nichts weiter als Utopien, die realpolitisch keinerlei Auswirkung hätten. «Damit stellen sie sich lediglich auf die moralisch richtige Seite und überlassen die Verantwortung der Politik. Das hat etwas Selbstgerechtes und Weltfremdes.»

Pfarrer Andreas Nufer widerspricht vehement: Der Frage nach Sinn und Unsinn von Utopien sei man sich in der Kirche sehr wohl bewusst. Zudem hätten politisch engagierte Pfarrpersonen nicht nur Visionen; sie leisteten auch konkrete Unterstützungsarbeit. «Die Welt ist uns keineswegs fremd, im Gegenteil.»

Und genügend Zurückhaltung. Auch Markus Huppenbauer, Theologe und Ethiker an der Uni Zürich, sieht die Landeskirchen in der Pflicht, auf Missstände zu reagieren. Dennoch rät er zu einer gewissen Zurückhaltung. «Selbstverständlich dürfen Pfarrpersonen ihre politische Meinung kundtun. Besonders dann, wenn ethische Grenzen überschritten werden, wie etwa bei eindeutigen Menschenrechtsverletzungen», sagt er. Da müsse die Kirche ihr Wächteramt durchaus wahrnehmen.

Aber das Evangelium selbst sei kein parteipolitisches Programm, es lasse den Menschen viel Freiheit. «Gerade dass politische Einstellungen in der Kirche nichts zur Sache tun, macht Kirchen zu sozial wertvollen Gemeinschaften», betont Huppenbauer. Andreas Nufer relativiert. «Es geht nicht darum, gesellschaftspolitische Ansichten zu Glaubensfragen zu machen. Dennoch: Verkündigung hat immer auch eine politische Dimension.»