Recherche 24. Januar 2019, von Felix Reich

Kontroverse um politische Parolen der Kirche

Debatte

CVP-Chef Gerhard Pfister und die freisinnige Theologin Béatrice Acklin werfen der Kirche vor, mit der Moralkeule zu argumentieren. Und ernten selbst Kritik.

Eine politische Kirche polarisiert. Anfang Jahr schmiedete der «Tages-Anzeiger» das heisse Eisen und titelte: «CVP-Chef will Kirchen po­­­li­tisch zurückbinden.» Gerhard Pfis­ter kritisierte genauso wie die FDP-Politikerin Béatrice Acklin, die Kirche halte sich zu sehr mit der Tagespolitik auf. Als Reaktion verkündete das Duo die Gründung des Thinktanks «Kirche/Politik».

Frustrierte Politiker

Zu den Gründungsmitgliedern des Gesprächskreises zählt der Zürcher Theologieprofessor Ralph Kunz. Er erzählt eine ganz andere Geschichte. «Es geht uns nicht darum, den Einfluss der Kirche einzudämmen.» Vielmehr sollen Theologie und Politik ins Gespräch kommen.

Dass Politiker «enttäuscht und frustriert» sind, wenn sich die Kirche in Stellungnahmen auf die Bibel beruft, ohne politische Argumente zu würdigen, versteht Kunz. Und jemandem wegen seiner politischen Haltung das Christsein abzusprechen, sei «falsch und kontraproduktiv». Aber: «Die Vorstellung, die Kirche sei nicht politisch, ist so etwas von naiv.» Das Evangelium verpflichte dazu, für Gerechtigkeit und Menschenwürde einzustehen.

Auf dem hohen Kirchenross

Auch Acklin sagt, sie wolle die Kirche nicht zum Schweigen bringen. Doch die Katholikin stört, wenn der Politik «vom hohen Ross herunter moralische Vorhaltungen gemacht werden». Die Kirche müsse Gesprächsräume «jenseits des politischen Schlagabtauschs» eröffnen. Ihre Stärke sei ja gerade, dass sie keine Interessensverbindung sei und Menschen mit verschiedenen Meinungen zusammenbringe.

Insbesondere in der Asylpolitik argumentiert die Kirche laut Acklin ausschliesslich gesinnungsethisch. «Doch sie sollte auch nach der Aufnahmefähigkeit des Gastlandes fragen.» Wobei Acklin dem evangelischen Kirchenbund ein Kränzchen windet: «Er macht es tendenziell bes­ser als die Bischofskonferenz, da er in der Regel die Argumente beider Seiten gegeneinander abwägt.»

Verbale Aufrüstung

Dass sich beide Kirchen gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer wehrten, war für Acklin «naheliegend und richtig». Die Nein-Parole zur Selbstbestimmungsinitiative hingegen war für sie «nicht zwingend». In der Debatte habe die Kirche «durch Übertreibungen zur verbalen Aufrüstung beigetragen».

Kein Verständnis für die Kritik hat Esther Straub. Sie sitzt in der Exekutive der Zürcher Landeskirche und im Kantonsrat. Während sie als Pfarrerin theologisch argumentiert, lässt sie die Religion in der Politik aussen vor. Ihre Motivation aber bezieht die Sozialdemokratin aus dem Glauben: «Mich treibt die biblische Botschaft um, deshalb en­gagiere ich mich politisch.»

Eine postmoderne Sünde

Den Vorwurf, die Kirche schwinge die Moralkeule, hält Straub für «völlig absurd». Denn gerade im Asyl- und Migrationsbereich sei sie aufgrund ihres biblischen Auftrags mit zahlreichen Projekten präsent. «Sie weiss aus Erfahrung Bescheid und darf sich nicht einschüchtern lassen, wenn der CVP-Präsident in seiner Verzweiflung austeilt, weil ihm die Kirche widerspricht.»

Dass Kunz keine unpolitische Kirche will, zeigt zuletzt sein Wunsch an die neu verfasste Evangelische Kirche Schweiz, die aus dem Kirchenbund hervorgeht: Sie solle den Mut finden, Themen zu setzen. Beispielsweise in der Ökologie. «Unser Platzbedürfnis ist eine postmoderne Sünde», sagt der Professor. Die Umweltpolitik habe theologische Im­pulse dringend nötig.