Gesellschaft 30. Dezember 2024, von Mirjam Messerli

«Wir hinterlassen alle etwas»

Erben

Das Generationenhaus widmet sich dem Thema Erben. Kathrin Gschwend, die die Ausstellung mitkonzipiert hat, spricht über «Geburtenlotterie», das Tabu Reichtum und ihr eigenes Erbe. 

Sie haben eine Ausstellung zum Thema Erben mitgestaltet. Haben Sie selbst auch schon geerbt? 

Kathrin Gschwend: Die Augen meiner Mutter – inklusive starker Kurzsichtigkeit. Unlängst habe ich gemeinsam mit meinen Brüdern ein Ferienhäuschen geerbt. Und mir gehört das alte Bauernhausgeschirr meiner Grossmutter.

Gibt es etwas, das Sie lieber nicht geerbt hätten? 

Also die Sehschwäche wäre ich natürlich schon gern los. Ansonsten fühle ich mich aber sehr privilegiert mit meinem Erbe.

In der Ausstellung warten mehrere Tabuthemen: Tod, Geld, Familiengeheimnisse. Warum hat sich das Generationenhaus dennoch für  das Thema Erben entschieden? 

Geld und Tod sind tatsächlich zwei der letzten grossen Tabus – gerade in der Schweiz. Gleichzeitig sind es Themen, die uns alle betreffen. Wir sollten unbedingt mehr darüber reden. Das Thema Erben bewegt und beschäftigt Generationen – es bietet sich an für unser Haus, das den Dialog fördern will. 

Erben ist ein unsichtbares Band, das die Generationen verbindet.
Kathrin Gschwend

In der Ausstellung wird Erben als lebenslanger Prozess verstanden. 

Ja, er beginnt bei oder schon vor unserer Geburt – wenn wir beispielsweise schauen, ob das Baby der Mutter oder aber dem Vater ähnelt. Der Prozess des Erbens begleitet uns bis an unser Lebensende, wenn wir uns fragen, was von uns bleiben solle, wenn wir gehen. Erben ist ein unsichtbares Band, das die Generationen verbindet.

In Videoporträts erzählen Menschen in der Ausstellung erstaunlich  offen über Erbkrankheiten, Adoption, vererbte Traumata, geerbte Schulden – über geerbte Millionen spricht aber niemand. Wieso? 

(Lacht.) Das ist tatsächlich ein wunder Punkt: Wir hätten in diesen «Erbgeschichten» gern eine Person gehabt, die sich dank eines Erbes nie mehr Sorgen ums Finanzielle machen muss. Es wäre interessant gewesen, wenn eine solche Person das reflektiert hätte. Wir haben mit vielen Menschen geredet, aber keiner wollte vor der Kamera über ein Millionenerbe reden. Es kommen in der Ausstellung prominente Millionenerbinnen und -erben vor, aber keine Person wie du und ich.

Wie erklären Sie sich das? 

Wahrscheinlich hatten diese Personen Angst, dass eine Neiddebatte losgehen würde. Was keineswegs unsere Absicht war. Vielmehr wollten wir zeigen, dass jedes Erbe ambivalent ist. Wir alle müssen uns positionieren zu unserem Erbe. Vielleicht hat eine Person, die Millionen erbt, mit extrem hohen Erwartungen aus der Familie zu kämpfen. Oder sie spürt eine grosse Verantwortung. Die Hemmschwelle, über so viel Geld zu sprechen, war aber interessanterweise für alle zu hoch. Geld ist in der Schweiz scheinbar ein grösseres Tabu als Krankheit oder Tod. 

Ausstellung und Rahmenprogramm

Kathrin Gschwend (41) hat Literatur und Philosophie studiert und gehört zum Programmteam des Berner Generationenhauses. Die aktuelle Ausstellung «Hilfe, ich  erbe!» hat sie mitkonzipiert. Das Generationenhaus will den Austausch  zwischen den Generationen mit aktuellen Themen anregen und fördern.  

Erben ist bis Ende Oktober 2025 ein Schwerpunktthema. Die Ausstellung wird von einem reichhaltigen Rahmenprogramm begleitet. Informative Veranstaltungen – zum Beispiel zum Thema Erbrecht – wechseln sich ab mit Workshops, in denen man etwa seinen eigenen Nachruf schreiben kann oder über philosophische Fragen diskutiert.

Ausstellung: Hilfe, ich erbe! Bis 26. Oktober 2025, Berner Generationenhaus. 

www.begh.ch

Beim Stichwort Erben denken viele zuerst an Familien, die sich zerstreiten. Weshalb sorgt das Erben von materiellen Dingen so oft  für Konflikte? 

Erben kann man nie losgelöst von Emotionen anschauen. Gerade innerhalb von Familien geht es um viel mehr als um Geld. Beim Erben brechen viele unterschwellige Themen auf. Peter Schneider schrieb dazu: «Erben ist oftmals ein Beziehungsdelikt. Man könnte auch sagen: eine postume Familienaufstellung.» Konflikte werden auch gefördert, weil wir in der Schweiz sehr schlecht darin sind, das Erben zu Lebzeiten zu regeln.

Also zum Beispiel, ein Testament zu machen? 

Je nach Umfrage hat nur die Hälfte der befragten Personen ihren Nachlass geregelt. Nur jede vierte Person in der Schweiz hat ein Testament gemacht. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um sehr wohlhabende oder eher ärmere Menschen handelt. Wenn jemand stirbt, wissen die Hinterbliebenen oft nicht, was die verstorbene Person wollte.

Wieso regeln nicht mehr Menschen ihren Nachlass? 

Den eigenen Nachlass zu regeln, bedeutet, sich mit dem eigenen Ableben zu befassen. Das schieben viele Menschen lieber hinaus. 

Unser Erbe prägt uns. Aber wir können entscheiden, wie wir mit unserem Erbe umgehen.
Kathrin Gschwend

Das Thema Erben scheint für viele Menschen eher negativ behaftet  zu sein. Heisst die Ausstellung deshalb «Hilfe, ich erbe!»? 

Den Titel haben wir gewählt, weil wir uns unser Erbe nicht aussuchen können. Unser Erbe prägt uns. Aber wir können entscheiden, wie wir mit unserem Erbe umgehen. Hier soll die Ausstellung auch etwas Lebenshilfe leisten.

Mit welchem Gefühl sollen die Leute die Ausstellung verlassen? 

Es wäre schön, wenn sie spüren: Mir wurde tatsächlich sehr vieles mit auf den Weg gegeben, aber ich habe auch Handlungsspielraum.

Die Ausgangslage ist sehr unterschiedlich, je nachdem, in welche Familie man hineingeboren wird. 

Das ist so. Wir nennen das die «Geburtenlotterie», die man in der Ausstellung an einem Glücksrad ausprobieren kann. In welchem Land ich zur Welt gekommen bin, ob meine Familie arm ist oder reich, ob Frieden ist oder Krieg herrscht – das ist tatsächlich eine Lotterie. 

Meinen zwei Töchtern möchte ich ein Grundvertrauen vererben.
Kathrin Gschwend

Bedeutet das letztlich, dass Erben per se ungerecht ist? 

Erben ist vor allem Zufall. Wir können in unserer Multioptionsgesellschaft so viel wählen. Was wir nicht wählen können, ist, in welche Familie wir hineingeboren werden. Interessant ist, wie wir als Gesellschaft damit umgehen. Ob wir etwa soziale Ungerechtigkeiten auszugleichen versuchen oder nicht. Ich hoffe, die Ausstellung gibt hierzu den einen und anderen Denkanstoss.

Was hat das Thema bei Ihnen  persönlich ausgelöst? 

Mir ist klar geworden, dass auch ich unbedingt mit meinen Eltern zusammensitzen sollte, um über gewisse Dinge zu sprechen. Vielleicht auch einfach, um Fragen zu stellen über unsere Familie. Denn wenn meine Eltern einmal nicht mehr da sind, geht mit ihnen auch ganz viel Wissen verloren.

Und was möchten Sie einmal  vererben? 

Was ich hier unbedingt noch vorausschicken will: Diese Frage betrifft uns alle, ob wir nun Kinder haben oder nicht. Wir hinterlassen alle etwas. Wir prägen Menschen, die mit uns durchs Leben gehen, auch dann, wenn sie mit uns nicht biologisch verbunden sind. Meinen zwei Töchtern möchte ich ein Grundvertrauen vererben. In sich selbst und in Beziehungen zu anderen. Sie sollen wissen, dass es besser ist, wenn man auf Menschen zugeht und empathisch ist, anstatt bloss für sich zu schauen.