Ist Ihnen die Kirche zu links?
Béatrice Acklin: Rechts und links sind längst untaugliche Begriffe geworden. Für mich ist entscheidend, dass in der Kirche alle politischen Positionen Platz haben und über politische Fragen gestritten werden kann, ohne dass jemandem das Christsein abgesprochen wird.
Und als Freisinnige fürchten Sie um Ihren Platz?
Nein. Ich muss nicht mit allem einverstanden sein, was die Bischofskonferenz sagt. Aber ich will in der Kirche einfach nicht die gleichen Diskussionen führen, wie ich sie im politischen Alltag schon habe. In der Kirche soll es um die Herausforderungen des Evangeliums gehen und nicht um Tagespolitik.
Das Evangelium ist kritisch gegenüber jeder Ideologie und nicht parteipolitisch, aber ganz sicher parteiisch und damit auch politisch.
Ja, parteiisch in dem Sinn, dass es die Hierarchien umdreht. Aber das Evangelium ist kein tagespolitisches Programm. Mir geht es überhaupt nicht darum, die Kirche zum Schweigen zu bringen. Doch ich erwarte, dass sie sich – bevor sie sich politisch äussert – die Mühe macht, sich wirklich in ein politisches Dossier einzuarbeiten, statt vom hohen Ross herunter der Politik moralische Vorhaltungen zu machen. Ehrlich gesagt, macht es der evangelische Kirchenbund tendenziell besser als die Bischofskonferenz. Er würdigt in der Regel die Argumente beider Seiten und wägt sie gegeneinander ab.
Sie kritisieren also nicht, dass sich die Kirche in die Politik einmischt, sondern wie?
Die Kirche sollte sich schon genau überlegen, zu welchen Abstimmungen sie sich äussert. Wenn sie ständig Parolen veröffentlicht, wird sie zu einem Player unter vielen, wie die Wirtschaftsverbände oder die Gewerkschaften. Die Stärke der Kirche ist aber, dass sie keine Interessensverbindung ist. Meine Partei ist eine Interessensverbindung, die Kirche ist es nicht. In der Kirche fühle ich mich Menschen verbunden, die ganz andere Meinungen und Einstellungen haben als ich. Und das ist doch die Stärke der Kirche. Sie darf sich nicht auf die Verstärkerrolle politischer Interessen reduzieren lassen.
Gab es Abstimmungen, in denen Sie froh waren, dass sich die Kirche geäussert hat?
Selten. No Billag war definitiv keine christliche Gewissensfrage. Auch im Vorfeld der Selbstbestimmungsinitiative war für mich eine kirchliche Stellungnahme nicht zwingend. Ich habe die Initiative abgelehnt, aber eine Antimenschenrechtsinitiative war das nicht. Die Kirche trägt mit solchen Übertreibungen zur verbalen Aufrüstung bei. Stattdessen sollte die Kirche Gesprächsräume jenseits des politischen Schlagabtauschs eröffnen. Genau das wollen wir mit unserem Thinktank.
Zur Asylpolitik hat die Kirche nichts zu sagen?
Doch. Aber sie sollte weniger moralisieren. Grundsätzlich ist die Kirche gefragt, wenn die Menschenwürde tangiert ist. In der Migrationspolitik muss sie aber nicht nur gesinnungsethisch argumentieren, sondern auch verantwortungsethisch. Also auch die Frage nach der Aufnahmefähigkeit des Gastlandes oder der Infrastruktur stellen und die Sorgen der einheimischen Bevölkerung ernst nehmen.
Stark engagiert hat sich die Kirche gegen die Lockerung der Auflagen für Waffenexporte.
Und darüber bin ich froh. Dass sich Kirchenbund und Bischofskonferenz beim Bundesrat gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer gewehrt haben, war naheliegend und richtig.