Mitreden gehört zum kirchlichen Auftrag

Kommentar

Die heutige Welt ist eine der politischen Entscheide, schreibt Hans Herrmann. Die Kirchen drückten sich vor ­ihrem Auf­trag, wenn sie schwiegen.

Viele Mitglieder ärgern sich, wenn sich die Landeskirchen politisch äussern. Auch in den Leser­brief­spal­ten dieser Zeitung zeigt sich dieser Unmut immer wieder – zuletzt, als «reformiert.» über die kirchlichen Stellungnahmen im Vorfeld der Selbstbe­stim­mungsini­tiative berichtete. Die Kir­che, so lautet die Kritik, sei doch keine politische Partei. Vielmehr bestehe ihr Verkün­digungsauftrag darin, Bibelstellen auszulegen und allgemein gehaltene ethische Denk­anstösse zu liefern.

Die Gegenseite jedoch mahnt: Eine Kirche, die zur Politik schweige, sei nicht mehr relevant. Auch Jesus sei politisch gewesen, als muti­ger Kämpfer für eine gerechtere Welt. Jesus zum Sozialrevolutionär zu erklären und politisch zu vereinnah­men, ist allerdings problematisch. Er war am tagespolitischen Geschäft der römischen Besatzer nicht interessiert. Ihm ging es um das Reich Gottes. In Gleichnis­sen sprach der Wanderprediger aus Galiläa davon, wie dieses Reich beschaffen ist und wie es die Menschen, aber auch die Gesellschaft verwandelt, hin zu Frieden, Liebe und Gerechtigkeit. Realpolitik im heutigen Sinn war das nicht.

Entscheidend ist das Wie

Die Welt, in der wir leben, ist jedoch eine Welt politischer Entscheide. Über Frieden und mehr Gerechtigkeit wird in Parlamenten, am Verhandlungstisch und an Abstimmungsurnen entschieden. Die Kirchen würden sich vor ­ihrem Auf­trag drücken, wenn sie sich aus der Debatte heraushielten. Ihre Ver­treterinnen und Vertreter sollen mitreden, in Positionspapieren, offenen Briefen und Diskussionen, allenfalls auch in der Predigt.

Aber nicht im Geist ideo­­logischer Volksbelehrung. Sondern im Bestreben, den biblisch fundierten Forderungen nach Nächstenliebe und Bewahrung der Schöpfung Geltung zu verschaffen. Wer denn sonst als meine Kirche soll mich in der Politik mit christlichen Argumenten versorgen? Im Entscheid, wie ich abstimme, bin ich immer noch frei.