Wettbewerbsfreier Raum für Entfaltung

Diakonie

Der  Mal-Treff in der reformierten Kirchgemeinde Wädenswil (ZH) ist ein Kleinod des Gemeinschaftslebens. Hier entwickelt man auf kreative Art Mut. 

Eine freudige Aufregung liegt in der Luft. Das gemeinsame Mittagessen im  Kirchgemeindehaus Wädenswil, zu dem alle etwas mitgebracht haben, dauert nur kurz, denn niemand mag lange sitzen bleiben. Einige laufen immer wieder zu den Tischen, um einen Blick auf die Werke zu werfen, die dort ausgelegt sind. 

Sie habe einen Vorschlag, kündigt jetzt Ursula Berner, eine Frau aus der Gruppe, an: «Wir könnten einen Rundgang machen, und alle erzählen, was sie über sich und ihre Bilder sagen möchten.» Die Idee findet breite Zustimmung. «Also lasst uns anstossen und die Vernissage eröffnen», ruft Sozialdiakonin Petra Fischer. Ihre Freude wirkt ansteckend, und die Gläser erklingen. 

Nicht beurteilt werden 

Es ist eine Premiere, dass sich die 14-köpfige Gruppe, statt zu malen, einen Nachmittag lang Zeit nimmt, um einander eine Auswahl der Werke zu zeigen, die hier im Mal-Treff, zu Hause oder in früheren Jahren entstanden sind. Den Mal-Treff gibt es seit Frühling 2022. Er sei ein wert- und deutungsfreier Raum, erklärt Petra Fischer, die die Treffen leitet. «Wenn wir das Erschaffene nicht beurteilen, gibt es untereinander auch keinen Wettbewerb. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen können Dinge ausprobieren, zu denen ihnen der Mut sonst wohl fehlen würde.»

Wie Karl-Heinz Felder, der einzige Mann in der Gruppe, der zu Beginn nur mit Bleistift zeichnete und sein Blatt mit Armen und Oberkörper vor den Blicken der anderen zu verbergen versuchte. Strahlend steht er an der Vernissage hinter seinen Bildern, die durch eine ausdrucksstarke Farbwahl auffallen. 

Malen schult das Sehen 

Die Gruppe geht weiter von Tisch zu Tisch. Ursula Berner stellt fest, wie das Malen ihr Sehen schult: «Ich gehe nun viel aufmerksamer durch die Welt, schaue die Natur und auch die Menschen viel genauer an: Was haben sie für Augen, was für einen Gesichtsausdruck?» Pia Rieder erzählt, wie es ihr jahrelang gesundheitlich schlecht ging und sie den Mal-Treff genau im richtigen Moment kennengelernt habe. Auch wenn sie müde herkomme, sei sie hinterher stets zufrieden. «Ich brauche euch alle zum Malen, und als Südamerikanerin liebe ich die starken Farben.» Lachend zeigt Rieder auf ihre in leuchtenden Farben gemalten Blumenbilder.

Die Leute können auch Dinge ausprobieren, zu denen ihnen der Mut sonst wohl fehlen würde.
Petra Fischer, Sozialdiakonin und Mal-Treff-Leiterin

Immer wieder betonen die Malgefährtinnen den Wert der Gruppe. Etwa, wenn sie sich an neue Techniken oder Motive wagen. Dabei inspirieren sie sich gegenseitig und lernen voneinander. Denn es findet viel Wissen und Erfahrung zusammen: Claudia Flade zum Beispiel ist Buchbinderin und -restauratorin, und Ursula Luginbühl malte früher mit Öl, Susanne Weisweiler studierte Kunstgeschichte, Karl-Heinz Felder hat Maler gelernt und Naomi Gellner, mit 33 Jahren die Zweitjüngste, besuchte in Zürich das Liceo Artistico. 

Kunstkarten statt Rosen 

Durch die wöchentlichen Treffen ist unter den Teilnehmenden ein Zusammenhalt entstanden, der trägt und den niemand missen will. «Ich habe euch alle fest gern», sprudelt es aus Vreni Wyss. Und Susanne Weisweiler, die erst nach ihrer Pensionierung vor wenigen Jahren nach Wädenswil zog, erinnert sich, wie alle an die Vernissage ihrer ersten Ausstellung im vergangenen Winter gekommen sind: «Ich war überrascht und unglaublich gerührt», sagt sie mit feuchten Augen. 

Der Mal-Treff ist auch zu einem wichtigen Bestandteil der Gemeinde geworden. 2023 gestaltete die Gruppe etwa das Bühnenbild fürs Krippenspiel. Für die Fastenkampagnen werden seit 2024 statt importierte Rosen Kunstkarten des Maltreffs verkauft. Pfarrerin Undine Gellner, die ebenfalls zur Vernissage gekommen ist, bedankt sich denn auch bei den Kunstschaffenden für ihr grosses Engagement. «Ihr gebt damit uns allen viel.»