Nach dem Krieg steigt der Druck auf Minderheiten

Menschenrechte

Hunderte Menschen werden im Iran festgenommen, weil ihnen Spionage vorgeworfen wird. Ins Visier geraten insbesondere religiöse Minderheiten, denen das Regime ohnehin misstraut.

«Jetzt sind wir mit den wütenden Mullahs allein.» «Nun wird es viele Hinrichtungen geben.»  Der Exil-Iraner Gholamreza Sadeghinejad liest Messages aus seinen Social-Media-Kanälen vor. Der konvertierte Christ lebt seit 2012 in Deutschland und berät evangelische Kirchgemeinden in Bayern bei der Integration geflohener Christen aus dem Iran. Die Posts spiegelten die Stimmung in seinem Heimatland wider, sagt Sadeghinejad. 

Zwölf Tage dauerte der Krieg zwischen Israel und dem Iran, an dem sich auch die USA beteiligten. Erklärtes Ziel war die Zerstörung der iranischen Atomanlagen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach auch von der Hoffnung auf einen Regimewechsel. Der Krieg forderte Opfer auf beiden Seiten. Doch im Iran hinterliess er nicht nur mehr als 600 Tote und Tausende Verletzte, sondern auch eine Bevölkerung in Angst vor noch mehr Repressionen. Während des Krieges hatten die Behörden  bereits 700 Festnahmen vermeldet. Die NGO Center for Human Rights in Iran geht von weiteren Hunderten allein in Teheran aus. Sechs Menschen seien wegen angeblicher Spionage hingerichtet worden. Für Sadeghinejad ist klar: «Nun geht das Regime gegen den sogenannten Feind im Inneren vor.» 

Bahai besonders gefährdet

Weil Israel gezielt hochrangige Mitglieder der Revolutionsgarden getötet hat, steht häufig der Vorwurf der Spionage im Raum. Viele der jetzt Verhafteten werden beschuldigt, in den sozialen Medien aktiv gewesen zu sein. Exil-Iraner, die religiösen Minderheiten angehörten, befürchteten, dass die Gemeinschaften nun besonders gefährdet seien, so Dabrina Bet Tamraz, die als Tochter assyrischer Christen im Iran aufwuchs, in die Schweiz flüchtete und im Aargau als freikirchliche Pastorin arbeitet. Christen und andere religiöse Minderheiten würden gezielt ins Visier genommen, verhaftet und zu Unrecht als Spione angeklagt, die  im Auftrag Israels gehandelt haben sollen, schreibt Bet Tamraz.


Islamwissenschaftler Reinhard Schulze sieht die Gemeinschaft der Bahai als am stärksten gefährdet. Ihre Religion ging erst im 19. Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervor. Bahai haben im Iran nur eingeschränkt Zugang zu Schulen und Arbeitsmarkt, ihr Besitz wird immer wieder beschlagnahmt, sie werden häufig willkürlich festgenommen. «Das wichtigste Heiligtum der Bahai steht in der israelischen Stadt Haifa, auch deswegen werden sie als Erste verdächtigt, wenn es um Spionage für Israel geht», sagt Schulze, der bis 2023 das Institut Forum Islam und Naher Osten an der Universität Bern leitete. 

Die Religionen im Iran

Im Iran ist der schiitische Islam Staatsreligion. Die Bevölkerung ist weitgehend säkular, weil die Repression bei vielen zur Entfremdung von der  Religion geführt hat. Das Verhältnis zu anderen Religionen ist geprägt  von angeblicher Gleichheit und deutlichen Einschränkungen zugleich.  Zwar sind Judentum, Zoroastrismus und Christentum offiziell aner-
kannt, doch nur historisch gewachse-
ne Gemeinden wie armenische und  assyrische Christen können ihren Glauben in gewissem Rahmen praktizie-
ren. Die Schätzungen, wie viele Christen im Iran leben, reichen von 300 000  bis zu über einer Million. Der Übertritt vom Islam zu anderen Religionen  ist verboten und wird hart bestraft.

Das harte Vorgehen gegen religiöse Minderheiten sieht Schulze in einer «Tradition der Verfeindschaftung» entlang der Konfessionsgrenzen begründet. Der Klerus an der Macht sei durchsetzt von Verschwörungstheorien, die sich immer wieder veränderten. Mal richteten sie sich gegen eine Gruppe, dann eine andere Minderheit. Betroffen seien neben den Bahai auch Juden, armenische und aramäische Christen, christliche Konvertiten. Die iranische Human Rights Activists News Agency Hrana meldete zuletzt mehrere Festnahmen von Bahai. Zudem seien in Teheran und Schiras 35 jüdische Iraner intensiv verhört worden. 


Angehörigen religiöser Minderheiten wird oft nicht ihr Glaube, sondern angebliche Spionage, Propaganda gegen den Staat oder Mitgliedschaft in illegalen Gruppierungen vorgeworfen. Die Lage hat sich der Londoner NGO Article 18 zufolge, die Christen im Iran unterstützt, in den letzten Jahren verschlechtert. 2024 seien Christen zu insgesamt 263 Jahren Gefängnis verurteilt worden, im Vergleich zu 43,5 Jahren 2023, sagt Steve Dew-Jones von Article 18. Die Gründe seien mehr Verhaftungen und zusätzliche Straftatbestände, die 2021 eingeführt worden seien. Über 60 Christen sind laut der Organsisation bereits inhaftiert oder durchlaufen ein Verfahren. 

Die Bibel herunterschlucken

Besonders hart geht das Regime gegen Konvertiten in Hausgemeinden vor oder gegen Christen, die neu Getaufte unterstützen. Schon der Besitz einer Bibel könne gefährlich sein, sagt Dew-Jones. 

Sadeghinejad erinnert sich, wie die Mitglieder seiner Hausgemeinde Bibelverse auf essbarem Papier erhielten aus Angst vor Kontrollen. «Das Regime sieht das Christentum in erster Linie als westliche Bewegung», sagt er.