Morgen, am 16. September, ist es ein Jahr her, seit die kurdische Iranerin Jina Mahsa Amini starb. Die iranische Sittenpolizei hatte sie wegen eines verrutschten Kopftuchs verhaftet und brutal misshandelt. Was wird morgen im Iran geschehen?
Saghi Gholipur: Im Iran und auf der ganzen Welt sind Proteste geplant. Das Regime wird darauf mit massiver Gewalt reagieren, die Repressionskräfte sind seit Tagen auf den Strassen präsent. Viele, die im letzten Jahr auf die Strasse gegangen waren, sind getötet und verhaftet worden. In den vergangenen Wochen sind nun auch zahlreiche ihrer Angehörigen in den Foltergefängnissen des Regimes verschwunden. Das Regime ist sichtlich nervös.
Dem Wunsch vieler Iranerinnen und Iraner nach mehr Freiheit gibt das Regime in keiner Weise nach, im Gegenteil: Im August hatte eine Kommission des iranischen Parlaments sogar eine Verschärfung der Kopftuch-Regeln mit drakonischen Strafen bei Nichteinhalten beschlossen. Glauben Sie noch an eine Wende?
Ja. Menschen aus allen Schichten und allen Alters sind entschlossener denn je, für ihre Freiheit zu kämpfen. Die junge Generation sieht ohnehin keine Zukunft mehr in diesem Land. Sie sagt sich: «Wenn wir hier keine Zukunft haben, können wir genauso gut auf die Strasse gehen und sterben.» Die Generation Z weiss, wie die Welt aussehen kann, sie sehen es im Internet, auf den sozialen Medien. Sie wollen auch frei leben. Das Regime hat jede Legitimität verloren, für die Menschen im Iran gibt es kein Zurück mehr.
Iranerinnen und Iraner protestierten immer wieder auf der Strasse. Beispielswiese 2019 wegen steigender Benzinpreise. Damals gelang es dem Regime, die Proteste zu ersticken.
Dieses Mal ist es anders. Alle wissen: Was Jina Mahsa Amini passiert ist, hätte jeder Frau im Iran zustossen können. Fast jede Iranerin wurde schon von der Sittenpolizei blöd angemacht. Jina symbolisiert drei Dinge: Erstens, wie schwierig es im Iran ist, Mensch zu sein, egal ob du eine Frau oder ein Mann bist. Zweitens zeigt ihr Fall den institutionalisierten Sexismus. Drittens die schlechte Ausgangslage von Minderheiten. Die grosse Mehrheit im Iran hat genug von diesem menschenfeindlichen System.