Glaube 15. Mai 2024, von Hans Herrmann

Erklär mir mal das Abendmahl

Gottesdienst

Bei den Reformierten wird das Abendmahl selten gefeiert, vielleicht zu selten. Vielen ist es nicht vertraut, über Inhalt und korrekten Ablauf wissen sie wenig.

Pfingsten naht – einer jener hohen christlichen Feiertage, an denen im Gottesdienst meist auch das Abendmahl gefeiert wird. Mit dem Abendmahl tun sich viele reformierte Kirchgängerinnen und Kirchgänger jedoch ein bisschen schwer. Eigentlich sei ihnen dieses Ritual ziemlich unvertraut, hört man zuweilen, wenn man nachfragt. Als Teilnehmende wissen sie nur der Spur nach, was es zu bedeuten hat – und sind auch unsicher, wie man sich beim Empfangen von Brot und Wein korrekt verhält.

Zunächst: Bei den Reformierten wird das Abendmahl selten gefeiert, meist an Weihnachten, Karfreitag, Ostern, Pfingsten, manchmal noch am Bettag, in machen Gemeinden monatlich. Zu selten also, als dass es von den Predigtbesucherinnen und -besuchern als etwas selbstverständlich zum Gottesdienst Gehörendes wahrgenommen würde.

Im Grunde ist es einfach

Hinzu kommt, dass es sich um ein Sakrament handelt, um ein Heilszeichen also – oder, unkorrekt populär ausgedrückt, eine «heilige Handlung». Dieser spezielle Umstand macht die Sache auch nicht einfacher. Über Taufe und Abendmahl ist viel debattiert und geschrieben worden, die theologischen Gedanken rund um diese beiden Sakramente sind Laien schwer zugänglich.

Trotzdem lässt sich das Abendmahl auf eine einfache Formel bringen. Es ist ein Ritual zum Gedenken an das letzte Essen, das Jesus vor seiner Hinrichtung mit seinen Jüngern einnahm. Oder, etwas theologischer: «Das heilige Abendmahl wird zur Erinnerung an Jesus Christus, sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung gefeiert. Christinnen und Christen teilen miteinander Brot und Wein in der Gewissheit, dass sich Jesus Christus selbst darin mitteilt.» So ist es auf der Website der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz nachzulesen.

Das Abendmahl ist praktisch das einzige Ritual in der reformierten Kirche, umso mehr sollte man es wertschätzen.
David Plüss, Theologieprofessor

Beim Abendmahl in «wandelnder Form» – die wohl am häufigsten praktiziert wird – erheben sich die Gemeindemitglieder, gehen nach vorn in den Chorbereich der Kirche und empfangen von der Pfarrperson ein Stückchen Brot und bekommen anschliessend von jemand anderem, oft einem Mitglied des Kirchgemeinderats, einen kleinen Becher mit Traubensaft gereicht.

Kompliziert ist das nicht. Und doch bleiben Fragen offen, zumal beim Abendmahlsritus nicht nur die Pfarrpersonen, sondern auch die Teilnehmenden agieren müssen. Bei einer feierlichen Handlung möchte niemand das Falsche tun. Wie nehme ich das Brot entgegen? Bedanke ich mich dafür? Und leere ich den kleinen Becher mit einem Schluck oder mit mehreren?

Grosse liturgische Freiheit

David Plüss ist Professor für Homiletik, Liturgik und Kirchentheorie an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Im Grunde werde das Abendmahl bei den Reformierten viel zu selten gefeiert, findet er. «Es ist praktisch das einzige Ritual in der reformierten Kirche, umso mehr sollte man es wertschätzen.» Bei der Gestaltung genössen die Reformierten alle liturgischen Freiheiten. «Vorschläge existieren zwar, aber sie haben keinen bindenden Charakter.»

Zusammengefasst gehe es darum, drei Elemente in einen frei wählbaren, feierlichen Rahmen einzubetten. Erstes Element: die Einladung, also die Erklärung der Pfarrperson, dass Christus nun zum Abendmahl einlade. Zweites Element: die Einsetzungsworte, also das, was Jesus gemäss der Bibel beim letzten Abendmahl sagte, als er das Brot brach und den Jüngern den Weinkelch reichte. Drittes Element: die Austeilung von Brot und Wein beziehungsweise Traubensaft an die Teilnehmenden.

Die Einsetzungsworte im reformierten Ritus der Schweiz

In der Nacht, in der Jesus verraten wurde, nahm er das Brot, dankte und brachs, gab es seinen Jüngern und sprach: Nehmt, esst, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Das tut zu meinem Gedächtnis. Und er nahm den Kelch, dankte, gab ihn seinen Jüngern und sprach: Trinkt alle daraus. Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das vergossen wird für euch zur Vergebung der Sünden. Das tut zu meinem Gedächtnis.

Das Brot, das im reformierten Abendmahl angeboten wird, ist keine Oblate wie bei den Katholiken, sondern ganz gewöhnliches Brot, wahlweise aus der örtlichen Bäckerei oder dem Backofen des Sigristenhaushalts, Schwarzbrot, Weissbrot, Zopf – egal, alles ist möglich und auch anzutreffen. Zu mundgerechten Stücklein zugeschnitten wird es von der Sigristin oder dem Sigristen; klein und in der Regel ohne Rinde, damit die Teilnehmenden während des rituellen Ablaufs nicht zu sehr zu kauen haben.

Die meisten Teilnehmenden ergreifen das von der Pfarrperson gereichte Brotstück mit den Fingern. David Plüss schlägt als feierliche Variante vor, sich das Brot in die zu einer Art Schale geformte Linke legen zu lassen, es dann mit der Rechten zu ergreifen und zum Mund zu führen. Und was erwidert man korrekterweise auf die Formel «das Brot des Lebens», die der Pfarrer oder die Pfarrerin beim Austeilen spricht? Lässt man ein vernehmliches «Danke» hören, ein verlegen leises Murmeln oder nichts?

Dem religiösen Ritual angemessen wäre, den Empfang des Brotes mit einem ‹Amen› zu quittieren.
David Plüss, Theologieprofessor

«Danke oder merci ist sicher nicht falsch», sagt Plüss. Dabei handle es sich aber quasi um eine bürgerliche Apéro-Sitte, die Eingang in den Gottesdienst gefunden habe. Dem religiösen Ritual angemessener wäre, den Empfang mit einem «Amen» zu quittieren. Denn: «Bei der Austeilung entsteht ein kleiner liturgischer Dialog, und das Amen ist die Bekräftigungsformel, die grundsätzlich der Gemeinde beziehungsweise dem Gemeindemitglied vorbehalten ist.»

Und wie ist mit dem Traubensaft umzugehen? Ein Schluck ist die Regel, zwei sind kein Problem, manche legen aber ausdrücklich Wert auf drei – in Anlehnung an die Dreieinigkeit Gottes.

Bei dem, was vom Abendmahl übrig bleibt, sollte gemäss Empfehlung der Liturgiekommission der deutschsprachigen Schweiz achtsam umgegangen werden: «Weder eine für Angehörige anderer Konfessionen provozierende Gleichgültigkeit noch eine übertriebene Skrupelhaftigkeit sind hier am Platz, sondern die ganz natürliche Ehrfurcht.»

Fondue nach dem Abendmahl

Wenn es also bei der Pfarr- oder der Sigristenfamilie nach einem Abendmahlsgottesdienst Fondue zum Mittagessen gibt, unter Verwendung der übrig gebliebenen Brotbröckchen, ist dieser Forderung sicher Genüge getan. Anders als in früheren Tagen, wo sich Reformierte nicht scheuten, die Abendmahlsreste an die Schweine zu verfüttern, um die Katholiken theologisch zu provozieren. Für diese nämlich sind Brot und Wein nicht bloss Symbol für den Leib und das Blut Christi, sondern heilige Substanz. Die Zeiten solcher Konfrontationen und Provokationen jedoch sind vorbei; zumindest auf reformierter Seite sind alle geladen, gemeinsam vom Tisch des Herrn zu essen, sofern sie getauft sind, egal welcher Konfession. Und allenfalls sogar ohne Taufe – Zutrittskontrolle erfolgt keine.