Spuren der Gewalt führen in ein College

Terror

Der Attentäter von Minnesota war ein evangelikaler Pastor und Teil der Bewegung, die für den Sturm aufs Kapitol mobilisiert hatte.

«Jeder sollte mindestens ein gewalttätiges (violent) Gebet am Tag sprechen», so lautet der Text in der Lobby des Christ for the Nations Institute, eines evangelikalen Bibel-Colleges in Dallas im Bundesstaat Texas. Journalist Jeff Sharlet hat jüngst ein Foto davon veröffentlicht, denn der Satz hat Brisanz: Das College wurde Ende der 80er-Jahre vom mutmasslichen Attentäter besucht, der Mitte Juni Melissa Hortman, eine demokratische Abgeordnete im Repräsentantenhaus von Minnesota, und ihren Mann erschoss sowie ein weiteres Ehepaar schwer verwundete. Kurz nach dem Attentat tauchten Details zum Hintergrund von Vance Boelter auf: sein Abschluss am College sowie im Internet verbreitete Predigten, die er vor Gemeinden im  Kongo hielt, seine konservativen Ansichten zu Abtreibung und der LGBTQ-Gemeinschaft. Sie passen zur Liste weiterer potenzieller Opfer, die Boelter erstellt hatte. Darauf standen rund 70 Namen demokratischer Politikerinnen und Politiker sowie von Ärztinnen und Aktivisten für Abtreibungsrechte.


Boelter gilt als ein Vertreter einer Gruppe, die einst als radikale Randbewegung wahrgenommen wurde und nun zunehmend in den Fokus gerät. Sie nennt sich Neue Apostolische Reformation (NAR). Sie beruht auf der Idee, dass Gott durch moderne Apostel und Propheten spricht. Zugleich propagiert sie eine «geistliche Kriegsführung». Die radikale Freikirche sieht sie als Armee Gottes, die die Welt von dämonischen Kräften befreien muss.

Attentat als «Heiliger Krieg»

Das Christ for the Nations Institute distanzierte sich vom Attentäter. Mit dem Begriff des gewalttätigen Gebets habe der Institutsgründer einst ein leidenschaftliches, intensives Gebet gemeint, heisst es in einer Stellungnahme. Das College verteidige oder unterstütze keinerlei Gewalt gegen Menschen. 

Der Religionsforscher Matthew D. Taylor hat ein Buch zu der Bewegung geschrieben, er verortet ihre Wurzeln durchaus im College. Dort hätten in den 80er-Jahren Ideen kursiert, aus denen die NAR entstanden sei, sagte er im Berliner «Tagesspiegel». «Boelter war Teil davon.» In seinen videoaufgezeichneten Predigten im Kongo verwies der Attentäter auf den moralischen Verfall der USA, auch mit den Kirchen ging er hart ins Gericht, wie US-Medien berichteten. Dass er die Attentate als eine Art Heiligen Krieg betrachtet, ging aus seiner letzten SMS hervor, die er an seine Familie schrieb: «Papa zog letzte Nacht in den Krieg.»

Viele von Trumps Beratern stammen aus NAR-Kreisen, sie sind Propagandisten an vorderster Front
Matthew D. Taylor, Religionswissenschaftler

Taylor sieht die NAR auch als treibende Kraft für die Mobilisierung von Christen für den Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021. Auch hier sei spirituelle Gewalt in reale Gewalt umgeschlagen. Der NAR bilde den Kern des christlichen Trumpismus in den USA. «Viele von Trumps Beratern stammen aus NAR-Kreisen, sie sind Propagandisten an vorderster Front», sagt Taylor.

Die Nähe zeigte sich wohl auch in einer der ersten Amtshandlungen des Präsidenten: Er begnadigte 1500 Kapitolstürmer und setzte hiermit das Signal, dass selbst ein schwerwiegender Angriff auf die Demokratie folgenlos bleiben kann. Auch Boelter galt als Trump-Anhänger. Der Präsident verurteilte zwar die Tat. Beobachter wie Robert P. Jones, Präsident des Public Religion Research Institute, bemängelten jedoch, dass er gar schnell zum Courant normal überging und nicht etwa entschieden zur Gewaltlosigkeit aufrief. Trump profitiere am Ende gar von der Situation, sagte Jones in einem Podcast.